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— In der Burgstraße aber war es um diese Stunde
Schon lange still und dunkel in den Schlafzimmern, Nur
der Regen spülte und gurgelte in den Hof hinunter und
rieselte gegen die Fensterscheiben. Zwei heiße Augen lagen
in dem einen Zimmer noch wach und starrien aus den
weißen Kissen in die Dunkelheit hinein. Aus dem Weihe-
Kesang war es geflossen ... „Winterstürme wichen dem
Wonnemond!“ , . . Bilder waren aufgetaucht von dem nacht-
dämmernden Hof bei der Esche an Hundings Haus und
von dem Blick in die nächtliche Lenzpracht des Waldes
durch die aufspringende Tür . . . über ihre unerfüllte Jugend
in der Witwenkemenate war ein unwiderstehliches Verlangen
nach dem Leben gekommen. Und dann hatte sie neben dem
Bettchen ihres schlafenden Knaben gestanden, der Fleisch
von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut war. Der
Schimmer der Nachtlampe fiel auf das rosige Gesichtchen.
Lange hatte sie darauf geschaut ... ein Schauer über-
rieselte sie... einen leisen Kuß hatte sie auf die Wange
gedrückt, — es war wie ein Schwur.,
Frühlingsbotschaft fühlte sie brennend aus dem rau-
Schenden Regen heraus. Eine quälende Pein und eine
Siedende Scham stiegen in ihr auf, ob. sie auch stark genug
Sein würde, allein zu bleiben, wenn kein Würdiger kam,
sie zu freien. Ein Mann mußte es sein, zu dem sie in
Bewunderung aufschauen durfte ... der ihren Knaben
liebte und ein Hort für ihn wäre, Ein Gesicht zog an ihrem
Grübeln vorüber, Auf einem großen Wandbild hatte sie
e8 im Pantheon zu Paris oder in der Berliner Galerie ge-
sehen, von Puvis de Chavanne oder von Cornelius ...
einen Wanderer in wallendem Gewand, mit großem Pilger-
hut und langem Stecken in der Hand. Aus dem Wald trat
er auf die Hügelkuppe und streckte feierlich weisend die
Hand nach der Ebene aus, während der Knabe an seinem
Arm hing und in zärtlicher Neigung und Begeisterung
zu ihm aufblickte, Jetzt wußte sie: so sollte der Mann
sein, — stark und untadelig an Körper, Seele und Geist,
— ein Auserwählter, in dessen Hände sie ihr und ihres