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um das liebliche Mädchenbild, das ihm mit teuflischem
Hohn gezeigt war, wie dem Ertrinkenden noch einmal alle
Schönheit der Welt durch das Bewußtsein rauschen soll,
ehe er verloren ist. Eine düstere Hoffnungslosigkeit kam
über Otto. Er wanderte am Sonnabend abend ruhelos durch
die dunkeln Straßen. Er stand am Engelbecken und starrte
düster auf die dunklen Wasser hinab, die so still lockten
und ein Heilmittel verhießen gegen die erbarmungslose
Niedrigkeit des Schicksals. Sein ausgehungerter und ab-
gehetzter Körper besaß die Spannkraft eines schnellen
Entschlusses nicht mehr. Auf einer Bank nahebei saß er
dann, während kosende Pärchen vorüber durch die lockende
Mainacht wandelten, und brütete vor sich hin; die herunter-
gezogene Hutkrempe verbarg ihm, daß die Einsamkeit und
das Elend bei ihm saßen. In rinnenden Stunden rang er
sich zu dem schweren Entschluß durch, Lieschen nicht
mehr wiederzusehen. Trug er schon das Kainszeichen des
Verlorenen auf der Stirn, so wollte er als ehrlicher Mensch
dies arme kleine Ding nicht in sein Unglück mit hinein-
ziehen. Zum Spielzeug aber dünkte sie ihm zu gut. —
Als Otto am Sonntag morgen spät, müde und zerschlagen,
von der Morgenglut gepeinigt, erwachte, packte ihn eine
heiße Sehnsucht nach der freien Natur. Ein paar Pfennige
konnte er erübrigen. Zur Havel hinaus wollte er fahren,
seine Stullen mitnehmen, im Heidekraut irgendwo oder am
Uferabhang am Herzen der Mutter Erde sich lagern, so
lange er mochte, und irgendeinen Entschluß fassen. In
der Morgenzeitung suchte eine Baugesellschaft häusliche
Schreibhilfe. Die Firma war angegeben. Da er auf seinem
Wege dort vorbeikam, wollte er den Brief gleich in den
Geschäftskasten stecken.
„dehn Se man ruff,“ sagte der vor der Tür stehende
Pförtner, — „eene Treppe; Herr Meinert is jrade jekommen.“
„Wer ist Herr Meinert?“ fragte Otto.
„Ach so, — der Prokurist, — is man een kleener, dicker,
schwarzbärtiger Mann mit joldner Brille.“
Der Geschilderte schloß gerade die Tür auf. Anders
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