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Paul Lindau
Sie saßen eine Weile schweigsam im engen
Wagen nebeneinander, und es sah gar nicht so aus,
als ob es sehr ulkig werden würde. Hilda wischte
mit dem Muff die beschlagene Scheibe ab und sah
auf die Straße. Leonhard freute sich über die
wechselnde Beleuchtung, in der das fein geschnittene
Profil seiner Nachbarin sehr interessant wirkte.
„Na ja,“ sagte er nach einer Weile.
„Aber Sie müssen mich doch verstehen!“ versetzte
Hilda, der die Pause schon etwas zu lang geworden
war. „Sie müssen doch begreifen, daß ich vor der
Tür umkehren werde, wenn Sie nicht ganz artig
sind. ... Ist es denn wahr? Darf sich denn ein
junges Mädchen keine Viertelstunde mit 'nem jungen
Mann unterhalten, ohne daß? ... Mein armes
Mütterchen war Amerikanerin. Ah, da drüben hat
man mehr Respekt vor jungen Mädchen, ein feineres
Verständnis für den Reiz eines heimlichen Ver⸗
kehrs ... on tout honneur.... Wenn wir uns
nun näher träten, wenn wir uns wirklich lieb ge—
wönnen — ich bin doch ein Mädchen, das man
heiratet! — würden Sie da an die ersten Stunden
unserer Begegnung mit häßlichen Gefühlen zurück
denken wollen? Unsere erste Begegnung soll doch
nicht die letzte sein! Ich wäre wirklich aufrichtig
betrübt, wenn ich mich in Ihnen getäͤuscht haben
sollte.“