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Paul Lindau
bei Kroll, jetzt ist sie bis zur Ostmark vorgerückt....
Schade!“
Unser Begleiter hielt das Seidel gegen das Licht,
tat einen kräftigen Schluck, wischte sich den Schnurr⸗
bart und erzählte uns nun:
„Es mögen wohl an die zehn Jahre vergangen
sein. Mir waren damals die Fälle der leichtlebigen
Damen zur Bearbeitung überwiesen; insbesondere
hatte ich mich mit den von diesen Mädchen verübten
Diebstählen zu befassen.
Eines Tages um die Mittagsstunde, ließ sich im
Bureau bei mir ein schlesischer Gutsbesitzer, Herr
Hermann T., melden. Er berichtete mir alsbald
über ein Abenteuer der vergangenen Nacht, das ihn
geschädigt, aber noch schwerer gekränkt hatte. Er
war zum Wollmarkte nach Berlin gekommen. Er
hatte ein opulentes Diner eingenommen, sehr viel
getrunken und war in heiterer Weinlaune die Linden
entlang gegangen, dann in die Friedrichstraße ein⸗
gebogen, — ohne gerade etwas Bestimmtes zu suchen,
aber auch ohne Widerstreben, etwas Angenehmes mit⸗
zunehmen, wenn es sich zufällig fände.
Da war ihm ein schlankes blondes Mädchen be⸗
gegnet, das ihm auf den ersten Blick außerordentlich
gefiel. Er hatte sie angelächelt, angesprochen, sich
nach irgendetwas erkundigt, und sie hatte dem fremden