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Paul Lindau
klug genug sind, um selbst zu wissen, was Sie zu
tun und zu lassen haben, daß Sie keiner anderen
Instanz unterstehen, als Ihrem eigenen Ermessen
und dem Arteil Ihres sehr toleranten Herrn Gemahls.
Wenn ich also etwas an Ihnen wahrnehme, was
mir höchlich mißfällt, was ich einer Schwester, einer
Freundin, einer Geliebten nicht durchgehen lassen
würde, so habe ich — verzeihen Sie dem alten
Theologen das weniger anständige, wiewohl eigent⸗
lichere Wort von Lutherscher Kraft — so habe ich
das Maul zu halten ... Aber Luther sagt auch:
„Das gehöret zu einem Prediger, daß er das Maul
frisch und getrost auftue und nicht schweige noch
mummele‘. And da ich nicht schweigen soll, werde
ich auch nicht mummeln und Ihnen frei heraussagen:
ich finde es unschicklich und geschmacklos, wie sich
Herr von Freystetten Ihnen gegenüber benimmt, wie
er mit Ihnen liebäugelt, wie er um Sie herum⸗
schwänzelt und scharwenzelt, Sie beweihräuchert, Ihre
Fingerspitzen zu berühren sucht und sich geberdet wie
ein girrender Täuberich oder ein balzender Auerhahn.
Ich finde es empörend, daß eine Frau wie Sie, die
durch einen Blick einen solchen vierschrötigen, unge⸗
zogenen Pagen zur Räson bringen könnte, sich der⸗
gleichen gefallen läßt. Ich finde es verächtlich, daß
der Ihnen angelobte Hüter Ihrer Ehre, Ihr Herr
Gemahl, durch seine schmunzelnde Duldsamkeit diese