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Minute eine Rede über die Jammernisse dieser Welt halten.
Die langen, knöchernen Finger hatten sich mit der Zeit
gekrümmt, man wußte nicht, ob vom Uruammern der
Schaufel oder vom Falten der Hände nach dem Hinein—
werfen der ersten Schollen über unzählige Särge.
Ein starker Wind begann sich zu erheben, der die Schnee⸗
flocken herumwirbelte, durch die kahlen Zweige der Bäume
und Sträucher strich und über die nackten Gräber strich.
Hier, auf diesem hügelartig aufsteigenden Stückchen Erd⸗
reich, lag eine Welt des Jammers und des Elends begraben.
Da schlief die Legion der Namenlosen den letzten Schlaf,
deren einzige Gedenktafel der schwarze, unten spitz zu⸗
laufende Stab war, auf dem die weiße Nummer stand.
Links der Mauer entlang zeigten sich die langen Reihen
der Kindergräber, die sich bis weit den Hügel hinaufzogen.
Der Totengräber hielt jetzt am äußersten Ende dieser Gräber
vor einer frischen Gruft. Er stellte die große Laterne auf
den Sandberg und nahm Merk den kleinen Sargab. Mit
zwei Stricken ließ er ihn hinab und griff zur Schaufel.
Wie die ersten Schollen dumpf herniederfielen, ertönte
von fünf Menschen zu gleicher Zeit ein Schluchzen, das
jedem die Augen naß machen mußte, nur diesem Toten⸗
gräber nicht, der teilnahmslos und geschäftig die letzte
Arbeit an menschlicher Hülle verrichtete.
Plötzlich hielt ex inne.
„Ich bitte um ein stilles Gebet,“ sagte er kurz und
faltete die Hände. Und alle taten es ihm nach, preßten
die Lippen aufeinander und blickten stumm hinunter in
jene dunkle Offnung, wo ihr Liebstes begraben ward.
Und wieder rasselten die Erdschollen, wieder wimmerten
die Kinder, und wieder schluchzten Vater und Mutter.
„Der arme, kleine Fritz!“ jammerte Anna, die Jüngste,
und Magda und Franz wiederholten weinend die Worte.
Das konnte eine Mutter nicht mehr ertragen. Ida
schrie plötzlich laut auf und kniete auf den nassen Boden.
„Kind, mein armes Kind,“ gellte ihr Ruf durch die Nacht.
Merk riß sein Weib empor. Die Kinder standen daneben