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„Ida,“ sagte er halblaut und ergriff ihre Hände, „Ida,
ich habe schlecht gehandelt, daß ich mich zum Trinken ver⸗
seiten ließ. Aber ich schwöre dir, daß es nie mehr vor⸗
kommen soll. Wenn ich an das Kindchen denke, oh....“
Er konnte nicht weiter. Seine Stimme verhallte in dem
halbunterdrückten Schluchzen, daß seine Brust heftig ar⸗
beiten ließ.
Draußen pfiff der Wind und warf den Schnee lawinen⸗
artig gegen die Scheibe Es hörte sich an wie ein freu—
diges Heulen der Elemente, die ihr Opfer an sich gerissen.
Es war Mitternacht. Die drei Kinder lagen neben
einander gebettet auf der Diele und schliefen den Schlaj
der Unschuld. Ida streichelte ihrem Mann das Haar.
„Sieh, wie sie schlafen,“ sprach sie leise, „Gott wird
uns diese drei erhalten, wir wollen beten.“ Sie legten ihre
Köpfe aneinander und hielten sich eine Weile stumm um⸗
schlungen. Dann erhoben sie sich und traten wie in innerer
Ubereinstimmung hinaus in die Küche. Da lag das Plätt⸗
brett auf zwei Stuhllehnen und auf ihm verhüllt die er—
stickte Kindesleiche. Merk zog das Tuch herunter. Mann
und Weib falteten die Hände und warfen vor dem Schlum⸗
mer noch einen letzten Blick auf ihren entschlafenen Lieb⸗
ling. Und inmitten dieser stummen Andacht erschallte von
oben herab durch die dünne Decke ein greller Mißton.
Wie so oft in der Nacht, ertönte wieder Geschrei und Hilfe—
rufen, das von einer Mädchenstimme kam. Ludwig Jakob
schlug seine Tochter. Dazwischen erschallten gemeine
Schimpfworte des Vaters, die durch die üblen Gegenreden
Rosas beantwortet wurden. „Kanaille, ich schlage dich
tot !“ hörte man deutlich, und durch das Kreischen des
Mädchens ließ sich dasWeinen der übrigen erwachtenKinder
oernehmen. Stühle wurden umgeworfen, es begann ein
wildes Jagen, man polterte und tobte, als wollte man
sich zu Tode hetzen. Dann wieder vernahm man heftiges
Schlagen gegen eine Tür, und Kaulmanns, des Schlaf⸗
burschen Stimme, wurde laut. Er muckte ganz barbarisch
auf und bat sich Ruhe aus. Wenn das nicht aufhöre, würde