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Herr Emanuel Söngerkrug, der sich inmitten dieser
Szene unglücklich vorkam, breitete seine Hände aus und
versuchte durch die ganze Aufbietung seines Mienenspiels,
durch vollendet theatralische Gesten stumerodt seine Auto⸗
rität zur Geltung zu bringen.
„Aber ich bitte Sie, beste Frau Soundso, er ist völlig
betrunken... Sie sehen doch, liebe Frou Soundso, seine
Roheit ist durch den Schnaps geweckt. S? — vergeben Sie
sich nichts, folgen Sie mir als Friedensst'fter,“ flüsterte er
leise in die Gruppe hinein. Dabei strich er die Glacéhand⸗
schuhe glatt und strich abwechselnd nach seiner Krawatte,
als befürchte er, daß dieses Heiligtum seines äußeren Men—
schen unter der Wucht dieser brutalen Szene leiden könne.
„Was raisoniert die lose Dirne da?“ schrie Ludwig
Jakob und machte Miene, seine Tochter auf der Treppe zu
verfolgen. Er fiel aber an der dritten Stufe bereits lang
hin und verlor dabei seine Mütze, die durch die Sprossen
des Geländers hindurch auf die untere Treppe fiel.
Das alte Weib da unten im Keller verderbe ihm noch
dieses Frauenzimmer bis auf das letzte gute Haar. Er
werde der Alten die Polizei auf den Hals hetzen, daß ihr
hören und sehen vergehe, schimpfte er vor sich hin, mehr
für sich als für die anderen, während er bemüht war, sich
langsam zu erheben.
Merk und seine Kinder waren inzwischen in ihrer Woh⸗
nung angelangt. Jetzt schallte entsetzliches Schreien auf
den Flur heraus, das den Draußenstehenden durch Mark
und Bein ging. Dann hörte man die Omnme Merks, die
dazwischen klang. Man drängte sich durch die geöffnete Tür
und hatte nun einen Anblick, der das Herz zuschnürte.
Dichter Dunst füllte die Stube, deren Fenster geschlossen
waren. Vor dem eisernen Ofen im Winkel lagen verräu—
cherte Kohlen, die sich verstreut bis inmitten der Stube be—
merkbar machten. Neben einer Hutsche, anscheinend leblos,
hockte die kleine Anna, das jüngste Kind aber lag entleelt
dicht vor dem Ofen, mit geschwärztem Gesicht und halb
verkohltem Kleidchen. Die Kinder hatten ohne NRNufsicht