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lohn. Sehen Sie nur den echten Goldrahmen, der hat den
doppelten Wert. In jedem Laden kostet solch Bild zehn
Mark, und hier kriegen Sie beide für lumpige anderthalb
Mark. Nach Abnahme der ersten dreißig Hefte bekommen
Sie das eine Bild, beim sechzigsten das zweite. Sie müssen
nämlich wissen, daß die Gemälde noch in der Herstellung
begriffen sind und uns viele Mühe machen.“ Dabei pflegte
er in der Regel seine riesige Schnupftabaksdose hervorzu⸗
ziehen, eine Prise zu nehmen und einen prüfenden Blick
auf die Opfer seiner Firma zu werfen. Man malte sich
sofort im Geiste aus, wie schön sich die beiden Bilder an
der Wand über dem Sofa ausnehmen würden. Außer—
dem schien es hier sich wirklich um eine interessante Lek—
türe zu handeln, welche die Schurkereien der Reichen einem
armen Mädchen gegenüber wieder mit ungeschminkter
Wahrheit bloßlegen würde. Man zögerte also nicht lange,
kaufte vorläufig das erste Heft, berauschte sich förmlich an
den aufregenden Ereignissen der ersten Kapitel und lechzte
nach dem zweiten, wie nach einer wohlschmeckenden Speise,
die man lange entbehrt hat.
Nach und nach gewöhnte man sich daran, allwöchentlich
den letzten Groschen für die „hübsche Geschichte“ auszu—
geben, entbehrte lieber etwas anderes dafür und borgte
sich das Zehnpfennigstück von einer Nachbarin, ehe man
den Gedanken an den Besitz der Prämienbilder aufgab.
Die jungen Mädchen nun gar, die früh morgens mit ihren
Stullen nach der Fabrik gingen, schwelgten förmlich in
den Genüssen einer verschrobenen Widerspiegelung des
Lebens und konnten die Zeit nicht erwarten, wo sie die halbe
Stunde der Vesper- oder Frühstückszeit, die Stunde der
Mittagspause dazu benutzen durften, den Inhalt in sich
aufzunehmen. Und während sie ihren Kaffee tranken, sich
die einzelnen Bissen in den Mund zählten, lasen sie von
den Perlen und Diamanten irgend einer Schönheit, die,
wie sie arm geboren, dereinst durch das leichte Opfer ihrer
Tugend im Wohlleben schwelgen durfte.