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glänzen wollte. Am Tage sah man ihn nie. Er ruhte dann
aus von seiner „Nachtarbeit“ und träumte hinter dem
blaugestreiften Papierrouleau von versunkenen Idealen.
Erst in der Dämmerung feierte er eine tägliche Auferstehung,
um mit der Sorgfalt eines echten Komikers Toilette für
den Abend zu machen. Herr Sängerkrug oder „Herr Ma—⸗
nuel“, wie ihn in Kürze Frau Zierling seit zehn Jahren
nannie, war im Norden und Nordosten der Stadt ein
wohlbekannter Mann, der schon durch sein Außeres jedem
Passanten auffallen mußte. Er ging stets in Grau ge—
kleidet, vom grauen Zylinder und den grauen Handschuhen
bis zu den grauen Gamaschen, die er über die Stiefel ge
zogen hatte. Die Krawatte, welche er trug, war an Größe
ein Exemplar, das seinesgleichen suchte. Wenn man den
Mimen dahinschreiten sah, so machten die beiden mächtigen,
noch den Seiten starrenden Spitzen der Halsschleife, von
hinten gesehen, den Eindruck, als hielte Herr Manuel beim
Dahintaͤnzeln eine Balancierstange, die ihm das Gleich-
gewicht erhalten solle. Besonders für die Kneipwirte der
Rosentaler Vorstadt, die ihren Gästen gern durch sogenannte
„Künstler⸗Konzerte“ musikalische und sogenannte deklama⸗
torische Genüsse bereiten wollten, war Herr Sängerkrug ein
vielbewährter Künstler, der durch seine unverwüstliche Ko⸗
mik das Vorstadtpublikum vortrefflich amüsierte. Herr
Manuel „gastierte“ nur; dadurch wahrte er sich seinen Ruf
als , Künstler höherer Sphäre“, der seinem Publikum glaub⸗
haft macht, daß nur eine „Durchreise“ oder ein vorüber⸗
gehender Aufenthalt in der Residenz ihn dazu verleiden
konnte, seinen Thespiskarren auf der improvisiersen Bühne
einer Kneipe aufzustellen. Unser Mime hatte vor gleichen
Nollegen von der Schminke die besondere Eigenschaft vor⸗
aus, daß er mit dem Komödianten auch den Dichter ver⸗
einte, das heißt, sich seine Coupleis und sonstige, komische
Kleinigkeiten seibst verfertigte. Er besaß eine erstaunliche
Verwandlungsfähigkeit, die das Entzücken seines Publi—
kums bildete. Wenn er in Schlafrock, Pantoffeln und
Sammetkäppchen die ganze Ruchlosigkeit eines Berliner