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dazu nicht über die Grenze des Hauses hinaus zu gehen.
Unter den siebenzig Familien waren immer einige, denen
dies und das in ihrer Wirtschaft fehlte. So erwarb denn
eine Arbeiterfrau ein paar Stühle, eine andere einen
Küchentisch, diese das, jene dies. Herr Rentel, der Wirt
des Hauses, kam immer noch auf seine Kosten, und Herr
Christoph Zipfel fand Gelegenheit, durch den billigen Ver—
kauf dieser Überreste ruinierter Existenzen seine Menschen⸗
freundlichkeit zu betätigen.
Der gefürchtetste Gast in der Gerichtsstraße war der
krekutor. Er war für die Erwachsenen das, was den Kin⸗
dern der „schwarze Mann“ ist. Was Arbeitslosigkeit, Not
und Elend übrig gelassen hatien, das nahm der Steuerein⸗
nehmer für sich in Anspruch. Herr Platzmann war ein
hagerer, gemessen dreinschauender Mann, der regelmäßig
im Laufe des Quartals die Treppen des Vorderhauses em⸗
porstieg und dann auch seine Schritte über den Hof lenkte,
um rechts, links und geradezu, eine Familie nach der andern
mit seinem Besuch zu überraschen. Er tat als Beamter
nur seine Schuldigkeit, und doch haßten ihn die Frauen,
betrachteten ihn die Männer mit einem Blick, der nicht
besondere Voreingenommenheit verhieß.
Wenn eine Frau zufällig am Fenster stand, ihn daher⸗
schreiten sah und sagte: „Da kommt der Steuermann,“ so
lag in diesen Worten die ganze Bedeutung, deren Herr
Platzmann sich im Häuserquadrat zu erfreuen hatte. Denn
waren es auch nur lumpige fünfzehn Silbergroschen, welche
die niedrigste Steuerstufe verlangte — man hatte sie in
den meisten Fällen nicht. Hier rechnete man nur mit
Groschen, ein Zehnpfennigstück war gleich dem Taler der
Bemittelten. So mußte denn Herr Platzmann in zehn
Fällen neunmal die Erfahrung machen, daß er vergeblich
gekommen war. Man pflegte dann zu sagen: „Ich bringe
Ihnen das Geld morgen nach Ihrer Wohnung — ganz
bestimmt. Sie können sich drauf verlassen.“ Und mit diesem
Trost entfernte sich Platzinann. Derartige Stundungen ge⸗
horten nun einmal zu seiner Praxis. In den meisten Fällen