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Er sieht dicht vor sich ein weißes Gesicht wieder auf⸗
tauchen, das leichenblaß ihn anzustarren scheint.
„Magda, ich komme!“ hallt es wieder in dem Sturm.
Ein Sprung, er hat sie erfaßt und sinkt mit ihr eng um⸗
schlungen, in die kalte Flut, die seine heiße Stirn für ewig
kühlt ....
Zwei Tage später trat der Direktor des Anatomie-Ge—
bäudes auf seinen ersten Assistenzarzt zu und sagte: „Hören
Sie doch, lieber Doktor, es ist da im Vorzimmer ein junger
Mann, ein Schüler der Akademie der Künste. Er hat ein
Empfehlungsschreiben des Akademie⸗Direktors und möchte
gern unseren Leichenkeller sehen, um Studien zu machen.
Wollen Sie, bitte, das Weitere veranlassen.“ Der Kunst⸗
jünger war Franz Merk, oder eigentlich Franz Kroner,
nachdem man ihm gestattet hatte, den Namen seiner Mutter
anzunehmen. Er war jetzt ein schlanker, hochgewachsener
Jüngling geworden, dem man nichts mehr von seinem
einstigen Krankenlager ansah. Der Assistenzarzt befahl dem
alten Faktotum, Merk nach der Morgue zu führen, im lin⸗
ken Flügel des Gebäudes. Nach wenigen Minuten befan—
den sich beide im Keller. Sie betraten einen Raum, in wel⸗
chem sich nur sechs hölzerne Pritschen befanden, die zur Auf—
nahme der unbekannt eingelieferten Leichen dienten. Durch
die niedrigen Kellerfenster drang nur mangelhaftes Licht,
so daß Franzens Führer Gas anzündete. Merk blickte um
sich. Vier der Pritschen waren besetzt, die anderen beiden
leer. Links von ihm bemerkte er einen Lattenverschlag
mit verschließbarer Tür. Hinter dieser wurden die Leichen
aufbewahrt, für deren Sicherstellung die Justiz ein be—
sonderes Interesse hatte. Ein Schauer überlief ihn, als
er die erste Leiche erblickte, einen alten Trunkenbold, der
auf der Straße vom Schlage gerührt worden war. Das
Faktotum spekulierte auf ein Trinkgeld. Wenn der junge
Herr hier etwas für seine Bilder profitieren wolle, dann
möge er nur zu den beiden Leichen dort am zweiten Fenster
treten und sich die ansehen. Es seien zwei Wasserleichen