Path:
Sechzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

4365 
einen Sebensunterhalt für dich,“ hatte er lachend gesagt. 
„Du hast doch die Mutter Knabe gekannt, die in den Knei— 
pen handeln ging?“ Sie wußte, was er damit sagen wollte. 
Bei diesem Namen stand ihr wieder alles vor ihren Augen: 
verlorene Jugend, verlorene Ehre, verlorenes Glück. 
„Eher sterben !“ hatte sie darauf erwidert, und er: Nun 
gut, ich nehme dich beim Wort.“ 
So waren sie hinausgewandert, untergefaßt wie da— 
mals am Weihnachtsheiligabend, nur nicht schwelgend im 
Glück der sonnigen Zukunft, sondern Nacht, tiefschwarze 
Nacht vor Augen. Sie schmiegten sich einander an und 
fröstelten wie damals, nur traf dieser Kälteschauer diesmal 
ihre Seelen. Der Regen hatte nachgelassen, die nassen 
Straßen glänzten im fahlen Glanz der letzten Dämmerung. 
Sie befanden sich noch in der Friedrichstraße, nahe dem 
Oranienburger Tor. An einer Ecke kam ihnen ein elegant 
gekleideter, junger Herr entgegen, der sie erblickte, einen 
Augenblick wie zögend stehen blieb und dann zur Seite 
trat, um, von ihnen ungesehen, sie vorüberzulassen. Es 
war Leonhard Sirach, der nun oben auf hohem Roß saß, 
während sein einstiger Freund im Schlamm der Straße lag 
Und sie gingen weiter, immer geradeaus die Chaussee— 
straße entlang, noch nicht wissend, nach welchem erlösenden 
Ziel. So befanden sie sich in der endlosen Müllerstraße, 
die wie ein langgestrecktes Dorf vor ihnen lag. Sie war 
öde und leer. Selten begegnete ihnen ein Passant, ver⸗ 
einzelt schallte das Klingeln und entfernte Rollen der 
Pferdebahn. Die ersten auftauchenden Gasflammen, deren 
weißes Licht noch mit dem erlöschenden Grau des Tages 
kämpfte, flackerten trübe, und zeichneten sich vom Horizont 
wie blasse Irrlichter ab. Der Boden war erweicht und wich 
unter Magdas und Oskars Füßen. Und in dieser traurigen, 
tieftraurigen Landschaft schritten die beiden Verkommenen 
dahin, das letzte Auflodern einer alten Liebe im Herzen. 
„Magda, Magda, liebst du mich noch?“ kam es leise und 
tonlos von seinen Lippen. Und zurück schallte ad Wit vor
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.