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Bei Abend sind alle Katzen grau, da findest du immer noch
einen Mann. Meine Mutter hat mir schon erzählt, was
du für ein Leben führst. Das sieht ja greulich bei euch aus.
Und so einem Kerl hast du dich an den Hals geworfen, so
einemHungerleider, der gar nichts hat und sich nur betrinkt?!
Das sind die alten Raupen, die dir damals dieses Menschen
wegen schon im Kopf gesessen haben. Mädel, Mädel, was
ist aus dir geworden! Komm, zieh' dich an, wir wollen
wenigstens ein paar Stunden beisammen sein. Ehe der
nach Hause kommt, bist du längst wieder zurück. Übrigens,
wenn du willst, kannst du mit mir kommen, ich leihe dir
das nötige. Ich sehe schon, dir scheint es an allem zu fehlen.“
Das war wieder der alte Dämon in diesem Mädchen,
der, schon an der Grenze der Verkommenheit, noch einmal
gierig seine Klauen in Magdas Sinne grub. Das war doch
nett, daß wenigstens eine aus der glänzenden Zeit sich ihrer
noch erinnerte — hier draußen am Ende der Welt.
Sie blickte um sich. Sie sollte hier wieder den ganzen
Abend allein sitzen in dieser Bude, während ihr Geliebter
die halbe Nacht zechend mit seinen Freunden verbrachte?
Und sie hatte Hunger, großen Hunger! Einen Augenblick
besann sie sich, dann sagte sie: „Du hast recht, ich gehe mit.
Wenn er kommt, bin ich wieder zurück.“
Und sie folgte Rosa nach der Straße.
Ein Jahr war vergangen. Es war Anfang Herbst.
Ein spätes Gewitter hatte seine Regenschauer über die
Riesenstadt entladen und ließ die Häuser schwarz erscheinen.
Da hatten sie sich abermals wiedergefunden: Oskar Schwarz
und Magda Merk. Das war zur Zeit, als unter der Spitz⸗
marke „Ein Verkommener“ durch fast sämtliche Zeitungen
Berlins ein Bericht ging, der einen merkwürdig talent⸗
vollen, aber gänzlich heruntergekommenen, jungen Poeten
betraf, der des Nachts in Kneipen zweifelhaften Rufes
immer nur in Versen spreche. Man halte ihn für geistes⸗
gestört, denn er behaupte, eine große Tragödie geschrieben
zu haben, die auf einem Theater der Residenz von großem
Max Kretzer, Die Verkommenen 28