421
Sie erkannte Magda nicht, die bei ihr vorbei die Treppe
hinunterstürmte. Minna blieb in der geöffneten Tür stehen
und rief nun nach der Stube:
„Frau Merk, Frau Merk, sind Sie da? Wissen Sie
schon, man hat Ihren Mann nach der Polizeiwache gebracht.
Er hat gestohlen auf offener Straße.“ Damit schlug sie
die Tür zu und lief eiligst die Stufen hinab.
Magda befand sich auf der Straße. Noch wußte sie
nicht, wo sie ihr Ziel finden sollte, aber sie stürmte dahin,
ohne sich umzusehen. Dann winkte ihr ein Schaufenster,
hinter dessen erleuchteter Scheibe sich die Gold- und Silber⸗
sachen eines Versatzgeschäftes zeigten. Ohne sich zu be—
sinnen, trat sie ein. Zwanzig Mark wolle sie auf den Pale—
tot haben? Daran sei gar nicht zu denken, meinte der Mann
mit der Habichtsnase hinter dem Ladentisch. Ob Magda
denn nicht die Löcher und Flecke vorn auf der Brust bemerke?
Das sehe ja gerade so aus, als hätte jemand eine ätzende
Flüssigkeit darauf gegossen. Das Kleidungsstück sei dadurch
total verdorben.
„Aber zehn Mark will ich Ihnen geben, Fräulein, weil
ich mir immer meine Leute ansehe.“
Magda meinte, wenn man am Heiligabend kein Geld
in Händen habe, dürfe man sich nicht lange besinnen. Also
her damit! Glücklich eilte sie von dannen. Die Leute
blieben verwundert stehen, als sie sie in ihrem feinen Kleide,
ohne Mantel, aber den Hut auf, dahinlaufen sahen, und
schüttelten bedenklich mit dem Kopf. Sie aber wandte sich
nicht um. Sie kaufte Holz, Brot und andere Nahrungs⸗
mittel, um beladen zu ihrer Mutter zurückzukehren.
Oben angelangt, erblickte sie einen Mann, den sie für
den Arzt hielt. Während sie die Einkäufe niederlegte und
einen hastigen Blick nach der Wiege sandte, sagte sie: „O
mein Herr, es ist gut, daß Sie endlich gekommen sind. Die
Kleine dort ist mein Kind. Bieten Sie alles auf, um sie
zu retten, ich werde es Ihnen doppelt und dreifach ver—
gelten.“ Sie sah nicht, wie die Mutter ihr einen bedeutungs⸗
vollen Blick zuwarf. Sofort machte sie sich beim Ofen zu