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die Tränen in die Augen. Sie brüllte auf, gleichgültig
gegen alles, was ihr von jetzt ab passiere.
„Gehen Sie und sagen Sie Ihrem Bürgermeister, daß
hier ein armes Weib mit seinen Kindern verhungert.“
Draußen klappte die Tür, und nun warf sie sich, von
Schmerz durchwühlt, mit dem Kinde auf das Bett und
jammerte herzzerreißend.
Es wurde Mittag, Merk kam nicht, Anna hatte ihn ver⸗
geblich gesucht. Ida wußte nicht, was sie davon denken
sollte. Gewiß hatte man ihn uniten bei Zipfel abschläglich
beschieden, und nun irrte er umher, um Geid aufzutreiben,
und wagte nicht, mit leeren Händen zurückzukehren. Frau
Merk atmete auf, als Magdas Kleine einschlief. Aber dieser
Schlaf aus reiner Schwäche war ein so unruhiger, daß Ida
von neuem bangte. Die Kleine wälzte sich hin und her,
blieb nicht zwei Minuten auf einer Seite liegen bewegte
im Schlafe die Lippen und lispelte unverständliche Laute
vor sich hin. Ida saß auf dem Schemel und lauschte förm⸗
lich auf jeden Atemzug. Anna hockte eingehüllt an der ande⸗
ren Seite und zitterte vor Frost am ganzen Körper. Das
Unglück der Mutter ging ihr besonders nahe. Sie begann zu
plaudern. Heute sei Heiligabend, meinte sie, nun würden
bald überall die Christbäume angezündet werden, und sie
hätten keinen, würden auch keine Apfel und Nüsse bekommen.
„Weißt du Mutter,“ sagte sie, „alle schleppen sie sich
noch mit den Bäumen. Sie sollen so billig in diesem
dahre sein. Frau Müller von oben trug vorhin einen über
den Hof, der war größer als ich bin. Wenn Vater käme
und Geld brächte, könnten wir uns vielleicht auch noch
einen holen.“
Soolche Worte trafen Ida wie entsetzliche Stiche. Wenn
sie daran dachte, daß sie auch einmal in dem Alter ihrer
Tochter war, und sich wochenlang vorher auf diesen Tag
gefreut hatte, wo das Armste das letzte nimmt, um seinen
Kindern eine Freude zu bereiten! Diese unschuldigen
Plaudereien unterbrach Anna nur, wenn sie hinaus in die
Küche ging, um in der Schublade des Tisches nach altem,