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bis zur Tür, als wollte er dadurch etwas Versäumtes gut—
machen.
Merk ging mit anderen Empfindungen als gestern.
Nach einiger Zeit erhielt Merk eine Vorladung nach
dem Kriminal⸗Kommissariat am Molkenmarkt. In dieser
Voruntersuchung stellte sich nur zu bald die Grundlosigkeit
jeglichen Verdachts heraus, der ihn in Verbindung mit der
Vitriol⸗Affaire gebracht hatte. Man konnte also getrost
in anderer Richtung nach dem Missetäter suchen. Das ge—
schah gerade an dem Tage, als Ida in der Charits war,
um ihre Tochter zu besuchen. Lange fand sie keine Worte.
Sie rang nur die Hände und verbarg das Gesicht in der
Schürze. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, daß Rosenstiel
seiner Verletzung erlegen war.
Acht weitere Tage waren vergangen, als Merk, der
wie gewöhnlich zu Hause war, eine Nachricht bekam, die
ihm den letzten Mut zum Kampfe ums Dasein raubte.
Sein Sohn Franz lag mit zerschmetterten Gliedern in Be—
thanien. Er war vom Gerüst eines Neubaues gefallen,
und so hatte man ihn nach dem nächstgelegenen Hospital
geschafft. Merk trat auch diesen Gang an. Er hatte nur
einmal in seinem Leben einen ähnlichen gemacht. Das
war jener Gang nach dem Armenkirchhof bei schaurigem
Regenwetter, als er den Leichenträger seines Kindes spielte.
Er war in Bethanien angelangt und stand vor seinem
Sohn, dem das linke Bein gebrochen war. Wie er sich über
ihn beugte und ihn mit feuchten Augen küßte, hätte er
gern freiwillig noch zwei Jahre im Gefängnis gesessen um
dieses Kindes willen, dem sich nun eine neue, große Zu—
kunft öffnen sollte. Dann hatte ihm sein Sohn unter Stöh—
nen etwas zuzuflüstern. Franz hatte am Tage vorher vom
Senat der Akademie der Künste eine Zuschrist bekommen,
wonach er sich am nächsten Sonntag in der Akademie ein—
stellen sollte, um eine endgültige Probe seiner Leistungen
abzulegen, nach denen man beurteilen könne, ob er des ge—
wünschten Stipendiums würdig sei. Und das mußte ge—
rade jetzt kommen!