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Sechzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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bis zur Tür, als wollte er dadurch etwas Versäumtes gut— 
machen. 
Merk ging mit anderen Empfindungen als gestern. 
Nach einiger Zeit erhielt Merk eine Vorladung nach 
dem Kriminal⸗Kommissariat am Molkenmarkt. In dieser 
Voruntersuchung stellte sich nur zu bald die Grundlosigkeit 
jeglichen Verdachts heraus, der ihn in Verbindung mit der 
Vitriol⸗Affaire gebracht hatte. Man konnte also getrost 
in anderer Richtung nach dem Missetäter suchen. Das ge— 
schah gerade an dem Tage, als Ida in der Charits war, 
um ihre Tochter zu besuchen. Lange fand sie keine Worte. 
Sie rang nur die Hände und verbarg das Gesicht in der 
Schürze. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, daß Rosenstiel 
seiner Verletzung erlegen war. 
Acht weitere Tage waren vergangen, als Merk, der 
wie gewöhnlich zu Hause war, eine Nachricht bekam, die 
ihm den letzten Mut zum Kampfe ums Dasein raubte. 
Sein Sohn Franz lag mit zerschmetterten Gliedern in Be— 
thanien. Er war vom Gerüst eines Neubaues gefallen, 
und so hatte man ihn nach dem nächstgelegenen Hospital 
geschafft. Merk trat auch diesen Gang an. Er hatte nur 
einmal in seinem Leben einen ähnlichen gemacht. Das 
war jener Gang nach dem Armenkirchhof bei schaurigem 
Regenwetter, als er den Leichenträger seines Kindes spielte. 
Er war in Bethanien angelangt und stand vor seinem 
Sohn, dem das linke Bein gebrochen war. Wie er sich über 
ihn beugte und ihn mit feuchten Augen küßte, hätte er 
gern freiwillig noch zwei Jahre im Gefängnis gesessen um 
dieses Kindes willen, dem sich nun eine neue, große Zu— 
kunft öffnen sollte. Dann hatte ihm sein Sohn unter Stöh— 
nen etwas zuzuflüstern. Franz hatte am Tage vorher vom 
Senat der Akademie der Künste eine Zuschrist bekommen, 
wonach er sich am nächsten Sonntag in der Akademie ein— 
stellen sollte, um eine endgültige Probe seiner Leistungen 
abzulegen, nach denen man beurteilen könne, ob er des ge— 
wünschten Stipendiums würdig sei. Und das mußte ge— 
rade jetzt kommen!
	        
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