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Fünfzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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empfunden hatte. Es zog ihn mit Macht zu den Füßen 
seines Kindes. Ein Glück, ein großes, allumfassendes Glück 
lächelte ihm. Er hatte ja eine Tochter, der sein Leben nun 
gehörte. Er schlich die Treppe hinauf und klopfte leise. 
Und da rauschte es heran, im nächsten Augenblick hatte er 
sie in seine Arme geschlossen; dann lag er zu ihren Füßen. 
Und in seiner Trunkenheit preßte er weinend hervor: 
„Meine Tochter, mein Kind, mein einziges Kind.“ Weiter 
vermochte er nichts zu sagen, die Worte erstarben in einem 
Schluchzen. 
Und sie sagte leise: „Vater, mein guter, lieber Vater. 
O, ich weiß alles, heute habe ich es erfahren. Ich will dich 
so lieb haben, wie meine Mutter dich immer lieb gehabt 
hat auf Erden !“ 
Und er nahm sie auf seinen Schoß, küßte ihr die Augen, 
das Haar, die Stirn, den Mund. Dann blieb er auf einem 
Stuhl sitzen, denn er wollte sein Kind nicht mehr verlassen. 
So' schlief er ein, den Kopf tief geneigt, die Hände auf 
den Knieen gefaltet. Sie blieb auf und durchwachte die 
ganze Nacht. Der Kanarienvogel rührte sich und sprang 
lustig im Bauer von einem Stabe zum andern. Sie trat 
hinzu und sagte: 
„Sei still, Mätzchen, laß ihn schlafen, hörst du? Stör' 
ihn nicht, es ist mein Vater — ja, mein Vater.“ 
Und wie sie sich jetzt wieder nach ihm umwandte, ihn 
im Schlafe leise küßte, rollten große heiße Tränen über 
ihre Wangen, weinte sie still und unterdrückt. Aber aus 
diesen Tränen sprach die Freude, die aufrichtige, von 
keinem Hauch getrübte kindliche Freude ... 
Maxsteretzzer, Die Verkommenen.
	        
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