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Fünfzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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Haar, der gleiche Zug um die Lippen des kleinen Mundes. 
Und da, wahrhaftig, nun war da auch die altmodische Hals— 
kette, an der er vor beinahe drei Jahrzehnten zum Scherz 
jo oft die Perlen gezählt, um das Ja oder Nein der Liebe 
zu hören, unzertrennlich von diesem Mädchen dort, von — 
seiner Tochter. 
„Da, — da!“ stieß er hervor und zeigte nach der Säule. 
Dorchen hielt den Atem an. Sie allein hatte die Emp⸗ 
findung, daß das nicht Spiel auf den Brettern sei. 
„Merkwürdig, höchst merkwürdig,“ sagte Dagobert Fisch; 
„eine höchst originelle Einlage in dieses allbekannte Ge— 
dicht, die mir noch nicht vorgekommen ist.“ 
„Da, — da und da,“ klang es wieder auf der Bühne, 
begleitet von den Gesten eines Verrückten, als phantasierte 
da oben der wahnsinnige König Lear über die pfeifenden 
Ratten, die sein krankes Gemüt um sich herum erblickt. 
Das Publikum blickt staunend auf die Szene. Gewiß 
war das nur Verstellung des Schauspielers und gehörte 
zum „Sterbenden Komödianten“, der nun am Rande des 
Grabes noch eine Vision bekam, die ihm die alte Zeit des 
Glanzes vor die Augen gaukelte. 
Jetzt kam der Komiker wieder zur Besinnung, wußte, 
wo er war, sah die neugierigen Gesichter vor sich und ver— 
stand es, sich meisterhaft zu beherrschen. Er bückte sich 
nach dem Stock, und im nächsten Augenblick zeigte sich 
wieder das alte, zusammengeschrumpfte Männlein. Und 
nun deklamierte er mit einer vibrierenden, fast schluchzend 
klingenden Stimme, jene Verse weiter, welche alles das 
enthielten, was seine Seele bewegte. Er sprach nicht mehr 
die Worte des Dichters, er brachte seine eigenen Qualen 
durch sie zum Vorschein: 
„Sie netzt die Stirn ihm, eisig kalt, 
Kühlt seine bleiche Wang'. 
Stirb nicht, mein guter Vater, schallt 
Aus ihrer Brust es bang'. 
Laß nicht dein Kind verwaist zurück, 
Das bitt'rer Gram dann quöält.
	        
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