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Indeß ein zartes Mädchen weich
Sein Haupt im Schoße wiegt.
Er vierzig Jahr', doch früh ergraut
Das Kind kaum vierzehn Jahr',
Aus kummerbleichem Antlitz schaut
Ein tränend Augenpaar.
Wer ist es, den des Todes Hand
Hier würgt auf kaltem Stein? —
Er stockte plötzlich. Vor ihm, kaum acht Schritt ent⸗
fernt, saß Dorchen. Einige Neuangekommene suchten sich
an der vordersten Reihe vorbei nach der anderen Seite
des Saales hindurchzudrängen, um einen freien Tisch zu
erreichen. Eine dicke Frau nickte beim Vorübergehen der
Kleinen zu, reichte ihr die derbe Hand über den Tisch und
begrüßte sie: „Guten Abend, Fräulein Lichtergang.“ Es
war Frau Zipfel, die das so wenig leise gesagt hatte, daß
man jedes Wort auf der Buͤhne vernehmen konnte. Lichter⸗
gang, — das war der Name, der Sängerkrug jetzt in den
Ohren gellte, daß es ihm durch Mark und Bein ging.
„Es ist ein alter Komödiant, —
Das Kind sein Töchterlein,“
klang es mit gemessenen Lauten herunter ins Publi—
kum. Dann richtete sich zum Erstaunen aller das alte, ge⸗
bückte Männlein kerzengerade auf, ließ den Stock fallen,
sagte nichts mehr, aber starrte nun mit halbgeöffnetem
Munde, mit völlig veränderter Miene, wie festgebannt,
nach der ersten Säule vor sich, von der sich ein weißes Gesicht
—
Gesicht las, war eine tolle, höllische Geschichte, aus der ihn
wie ein Gespenst seine eigene Ehrlosigkeit höhnisch an—
grinste, sodaß der Wahnwitz sich seiner bemächtigte.
Sängerkrug sah nicht mehr das Dorchen von früher,
das gute, liebe Geschöpf, das er zu seinem Weibe machen
wollte, — er sah nur noch jene Dorothea Lichtergang, der
er das Herz gebrochen, die er im Elend mit ihrem Töchter⸗
chen verlassen hatte. Das waren dieselben Augen, dasselbe