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Fünfzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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Publikums hinweg sich eine einzige, große, lagernde Zi⸗ 
garrendampfwolke zeigte, entlang schritten, um noch irgend 
ein paar freie Plätze zu erhaschen, stand der große Mime in 
Frack und tadellos weißer Weste vor dem Podium, an eine 
der vorderen Säulen gelehnt, und neigte sich plaudernd 
zu einer Dame. Es war Dorchen, die heute zum ersten 
Mal den schauspielerischen Ruhm des geliebten Mannes ge— 
nießen wollte. Das war die Stunde, nach der sie sich so 
oft gesehnt, von der sie mit offenen Augen beim Singen 
des Kanarienvogels, beim Surren und Schnurren der 
Nähmaschine in stiller Verzichtleistung geträumt hatte. 
Frau Zierling hatte das Zeitliche gesegnet, ein versöhnen— 
des Wort für beide auf den Lippen. Nun waren sie 
frei, nun konnten sie sich geben, wie sie waren. 
Dorchen war vergnügt. Die stete Blässe der durch— 
wachten Nächte hatte einem rosigen Hauch Platz gemacht, 
der sie liebreizender denn je dem Komiker machte. Und die 
ganze Fülle seines Herzens, die er ihr entgegenbrachte, 
zeigte sich in zarten Aufmerksamkeiten, mit denen er sie 
bedachte. „.... Bitte, trink' doch noch von der Limonade. 
Willst du auch etwas essen? Ich bitte dich, verschweige mir 
nichts.“ Und während sie mit einem leisen: „Ich danke 
dir recht sehr,“ lächelnd zu ihm aufblickte, fand er Muße, 
sich an ihrer netten Kleidung zu erfreuen. Dabei entdeckte 
er etwas, was er nie an ihr bemerkt hatte und was seinen 
Gedanken eine andere Richtung gab. Er neigte sich zu ihr 
herab und betrachtete eine altmodische Halskette, zusammen⸗ 
gesetzt aus großen, reinen Bernsteinperlen, die vorn ein 
verschnörkeltes Medaillon vom selben Stein zeigte. Sie 
erschien ihm wie eine verkörperte Erinnerung aus alter 
Zeit. Sonderbar, höchst sonderbar! 
„Was ist das für eine merkwürdige Kette, die du trägst, 
die ich noch nie an dir gesehen habe?“ Er faßte mit der 
weißen Hand nach den Perlen und betrachtete das Medaillon 
näher. Und sie lächelte wieder und sagte: „Das glaube ich 
wohl, ich habe sie auch nie getragen. Ein altes Erbstück, das 
mir meine Pflegemutter vermacht hat. Sie sollen früher
	        
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