Path:
Fünfzehntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

374 — 
Lessinghelden unserer Tage! Kaum haben sie das Parkett 
betreten, so wenden sie, stehend, der Bühne ihren Rücken 
und beginnen durch ihr Glas die Logen und Ränge zu 
mustern. Und aus jedem breiten Lächeln, aus jedem Blick 
spricht die stumme Unverschämtheit: „Seht hierher, seht 
mich an, ich bin der große Kritiker X., vor dessen gefürchteter 
Feder alle Autoren zittern.“ Dort links in der Orchesterloge 
sitzt einer dieser Edlen: Journalist, Dichter und Plagiator, 
— der gefährlichste von allen, dessen Feder von Entrüstung 
überfließt, wenn sie den Namen Zola schreibt, und neben 
dem großen Moralisten seine noch größere Frau, die ehe— 
malige Geliebte eines Fürsten, von dem sie noch jährliche 
Revenüen bezieht, die ihr Gatte mit seinem Gehalt vereint. 
Soeben erhebt er sich und verneigt sich leicht, denn 
hereingerauscht kommt, ganz in schwarz gekleidet, Frau 
Selma Joachimsthal, die Dichterin der heutigen Novität, 
hinter ihr ihr keuchender Gatte, wie zu einem großen Fest 
in Frack und weißer Weste gekleidet. O, der glückliche 
Joachim! Wenn man die Gefühle schildern könnte, die heute 
seine Brust durchziehen! Wie sein Gesicht leuchtet, mit 
welcher Bravour er sich auf den Sessel neben seiner Ge— 
bieterin niederläßt, wie wohlgefällig er nach dieser und jener 
Stelle hinüberwinkt. Schon im Foyer hatte man das Ehe— 
paar umringt. Da hieß es denn von allen Seiten: „Gnädige 
Frau, ich wünsche Ihnen einen großen Erfolg... Verlassen 
Sie sich auf mich, ich werde ausführlich darüber schreiben.“ 
Und ein besonders aufrichtig fühlender „Kollege“, von dem 
witzige Zungen behaupteten, er schreibe alles ab, nur keine 
Einladung zum Mittagessen, wollte sich ihr besonders dank⸗ 
bar erweisen. Er zog die schöne Frau bei Seite und flüsterte 
ihr zu: „Schreiben Sie mir ein Feuilleton über Ihr Stück, 
ich bringe es morgen.“ Der große Dichter, der glückliche Be— 
sitzer des Gegenstandes dieser Huldigungen, stand mit der 
Empfindung eines Gottes dabei und nahm jede Gelegen— 
heit wahr, wo er einen Indifferenten für das Pseudonym 
„S. im Thale“ begeistern konnte. Dann wiederholte er 
hintereinander immer dasselbe: „.Sie werden doch schreiben,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.