Path:
Zweites Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

— 27 — 
den ich bekomme. Jetzt habe ich Mäntel, an denen ich 
zwei und einen halben Tag sitzen muß, und bekomme doch 
nur fünf Mark für das Stück. Die solltest du nur sehen! 
Aa gibt es eine Menge Verschnürungen, daß man sich die 
Dugen blind näht. Kragen aufsetzen, Armel und Taschen 
einnähen, Knopflöcher machen, Pelzverbrämungen, Knöpfe 
annähen und wer weiß was noch! — O, es ist eine Hei— 
denarbeit, da möchte man manchmal davon laufen. Alles 
für lumpige fünf Mark! Und Seide und Zwirn muß ich 
noch obendrein zugeben. Im Schaufenster stehen diese 
Mäntel mit achtzig Mark verzeichnet, jetzt rechne dir aus, 
was Baruch verdient! Das Pack weiß natürlich nicht, wie 
einem dabei zu mute ist. Wenn man diese Ungerechtig— 
keit in der Welt mit ansieht! Bewahre der liebe Gott 
alle Frauen vor der Arbeit mit der Nadel! Wenn ich 
wüßte, daß meine Marie es einmal tun müßte, ich wuͤrde 
ihr lieber sagen: Geh' ins Wasser!“ 
Flora machte eine Pause, zog das Schaltuch fester um 
die Schultern, und fuhr dann fort: „Es ist erklärlich, daß 
man zuletzt nichts mehr auf dem Leibe hat, und auch kör— 
perlich ganz herunter kommt. Heute hatten wir nicht ein⸗ 
mal Holz und Kohlen im Hause für eine warme Stube! 
Da habe ich schnell ein geflicktes Laken und zwei Bettbe— 
züge zu Laibs getragen. Mit knapper Not gab man mir 
zwei Mark, damit werden wir uns bis zum Sonnabend 
einrichten, dann bekomme ich in der Rosentalerstraße Geld.“ 
Das waren recht traurige Dinge, die Ida zu hören 
bekam, — viel trauriger, als sie es je gedacht hätte. 
Du mein Gott, da stand eine Frau vor ihr, die ihr 
Kreuz mit Schmerzen trug. Der sah man es an, daß sie 
bis tief in die Nacht hinein Stich auf Stich machte, um 
ehrlich für sich und ihre Kinder zu sorgen. Wie elend sie 
aussah, die gute Flora, wie gebückt sie bereits ging, wie 
ihr Nacken vom vielen Sitzen sich gekrümmt hatte! Ida 
dachte im Augenblick an die Zeit zurück, wo sie beide noch 
lustige Mädchen waren, des Sonntags in froher Laune 
nach Treptow oder nach der Hasenheide hinauszogen, um
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.