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den ich bekomme. Jetzt habe ich Mäntel, an denen ich
zwei und einen halben Tag sitzen muß, und bekomme doch
nur fünf Mark für das Stück. Die solltest du nur sehen!
Aa gibt es eine Menge Verschnürungen, daß man sich die
Dugen blind näht. Kragen aufsetzen, Armel und Taschen
einnähen, Knopflöcher machen, Pelzverbrämungen, Knöpfe
annähen und wer weiß was noch! — O, es ist eine Hei—
denarbeit, da möchte man manchmal davon laufen. Alles
für lumpige fünf Mark! Und Seide und Zwirn muß ich
noch obendrein zugeben. Im Schaufenster stehen diese
Mäntel mit achtzig Mark verzeichnet, jetzt rechne dir aus,
was Baruch verdient! Das Pack weiß natürlich nicht, wie
einem dabei zu mute ist. Wenn man diese Ungerechtig—
keit in der Welt mit ansieht! Bewahre der liebe Gott
alle Frauen vor der Arbeit mit der Nadel! Wenn ich
wüßte, daß meine Marie es einmal tun müßte, ich wuͤrde
ihr lieber sagen: Geh' ins Wasser!“
Flora machte eine Pause, zog das Schaltuch fester um
die Schultern, und fuhr dann fort: „Es ist erklärlich, daß
man zuletzt nichts mehr auf dem Leibe hat, und auch kör—
perlich ganz herunter kommt. Heute hatten wir nicht ein⸗
mal Holz und Kohlen im Hause für eine warme Stube!
Da habe ich schnell ein geflicktes Laken und zwei Bettbe—
züge zu Laibs getragen. Mit knapper Not gab man mir
zwei Mark, damit werden wir uns bis zum Sonnabend
einrichten, dann bekomme ich in der Rosentalerstraße Geld.“
Das waren recht traurige Dinge, die Ida zu hören
bekam, — viel trauriger, als sie es je gedacht hätte.
Du mein Gott, da stand eine Frau vor ihr, die ihr
Kreuz mit Schmerzen trug. Der sah man es an, daß sie
bis tief in die Nacht hinein Stich auf Stich machte, um
ehrlich für sich und ihre Kinder zu sorgen. Wie elend sie
aussah, die gute Flora, wie gebückt sie bereits ging, wie
ihr Nacken vom vielen Sitzen sich gekrümmt hatte! Ida
dachte im Augenblick an die Zeit zurück, wo sie beide noch
lustige Mädchen waren, des Sonntags in froher Laune
nach Treptow oder nach der Hasenheide hinauszogen, um