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unschuldiges Kindlein dafür, daß es keinen Vater hatte,
daß seine Mutter ein gottvergessenes Geschöpf war, das sich
um sein eigen Fleisch und Blut nicht kümmerte? Als dritter
kam Franz, der größte Stolz seines Vaters. Er war seit
zwei Jahren bei einem Stuben⸗ und Schildermaler in der
Lehre, war ein großer starker Junge geworden, besuchte
nach wie vor des Sonntags die Kunstschule und begann,
nach der Aussage seiner Lehrer, sich als ein Talent zu ent⸗
wickeln, das, wenn es die nötige Pflege finde, zu den
schönsten Hoffnungen berechtigte. Er war bei seinem
Meister in Kost und Pflege und besuchte an jedem Sonntag
Nachmittag seine Eltern.
Seinetwegen hatte Herr Christoph Zipfel die schmalen
Treppen des Hinterhauses erstiegen. Eigentlich erfüllte sein
Kommen Merks mit Bangen; denn zum ersten Male waren
sie die Miete schuldig geblieben. So erhob sich denn der
Eisendreher sofort und machte einige Verbeugungen; und
Ida beeilte sich ebenfalls, dem gefürchteten Besuch höflich
entgegenzukommen. Sie rückte ihm den einzigen gut er—
haltenen Stuhl hin und kam sofort auf ihre Schuld zu
sprechen. Herr Zipfel möge nur nicht böse sein, es werde
sich gewiß am kommenden Ersten machen lassen. Sie arbeite
jetzt nach Feierabend, das Geld lasse sie anstehen bis gegen
Ende des Monats, und damit solle Herr Zipfel vollauf be⸗—
friedigt werden.
Der würdige Hausverwalter machte eine abwehrende
Bewegung. Man möge sich nur beruhigen, er komme nicht
als Exekutor. Sein Blick war auf Merk gerichtet. Wenn
er daran dachte, was aus dieser einstigen Tanne für eine
gebeugte Birke geworden war. Wie scheu er aussah, kaum
daß er wagte, frei auszublicken und laut zu grüßen. Damals
konnte er Mut haben, jemand kalt zu machen, und heute
machte er den Eindruck eines furchtsamen Kindes. Zipfel
tat so, als wäre Merk für ihn noch immer der alte.
„Immer fidel, mein lieber Herr Merk, nicht wahr?
Ich finde, Sie sehen sehr wohl aus, sehr wohl. Bitte, blei—
ben Sie nur sitzen. Tun Sie so, als wäre ich nicht hier. Sie