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Zweites Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

25 — 
Lappalie, kaum der Rede wert. In der Not müsse man 
sich gegenseitig helfen, so gut es gehe; sie bedauere nur 
daß ihre Verhältnisse jetzt ebenfalls so trübe seien, daß sie 
nur an sich selbst denken könne. „Du siehst ja,“ fuhr sie 
fort, „es geht schon an die Betten, das ist weit genug. 
Merk läuft wie ein Verrückter umher und möchte mit dem 
Kopf durch die Wand rennen, weil er nicht die geringste 
Aussicht hat, auch nur eine Mark täglich auf ehrliche Weise 
zu verdienen. Ich sehe ja, wie er sich alle erdenkliche Mühe 
gibt. Morgens in aller Frühe ist er bereits auf den Beinen, 
liest die Zeitungen und steht vor den Fabriktoren — und 
Nachmittags kannst du ihn in der Zimmerstraße eine 
ganze Stunde lang auf das Erscheinen des Intelligenz- 
blattes warten sehen. Während der anderen Zeit sitzt er 
zu Hause am Fenster und schnitzt aus einem Stück Holz 
mancherlei Figuren. Das ist natürlich eine Arbeit, die nichts 
einbringt, aber sie war von jeher eine Lieblingsbeschäfti— 
gung, wenn er des Sonntags nicht nach der Fabrik brauchte. 
Dabei raucht er seinen schlichten Rippentabak, das Päkchen 
zu zehn Pfennigen. Gestern sprach er davon, daß er auch 
das Rauchen einstellen wolle, es koste immer einen Gro— 
schen täglich, den könne man sparen; aber ich bat ihn, sich 
nach wie vor diesen armseligen Genuß zu gestatten. Nein, 
das ließe ich auch wirklich nicht zu, er hat sonst weiter nichts, 
wodurch er seine trüben Gedanken verscheuchen könnte. 
O, ich sage dir, Flora, er war nie wie andere Männer 
— das beweist er mir gerade jetzt, wo er nichts zu tun 
hat, sonst hätte er sich schon längst Geld eingesteckt und 
wäre nach irgend einer Budike gegangen, um sich auf 
andere Art die Zeit zu vertreiben. Morgens, wenn er 
nach den Zeitungen geht, kehrt er ja in irgend einer De— 
stillation ein, um bei der Kälte einen kleinen Schnaps zu 
trinken, das verschweigt er mir aber nie. Neulich bei dem 
eisigen Wind hat er zweimal Station gemacht und fünf 
Pfennige mehr ausgegeben, und sofort hat er es mir ge— 
beichtet. So ehrlich war er immer.“ 
Ida war im besten Redefluß. Es schien ihr eine förm⸗
	        
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