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Dinge recht bald wiederzuholen, und trachtete darnach,
noch soviel herauszuschlagen, um sich die kommende Woche
hindurchzuhelfen. An solchen Tagen konnte man erst Blicke
in des Lebens Elend werfen — in jenes furchtbare Elend
der äußersten Vorstädte, das durch die Not gezwungen
wurde, aus dem Versteck der Hinterhäuser ans Tageslicht
zu treten.
Eines Abends — es war Mitte November —, als Ida
zu Laibs hineingehen wollte, um das erste Stück Bett zu
versetzen, begegnete ihr wieder die Mäntelnäherin aus der
Gerichtsstraße, die vom Rückkaufshändler kam. Frau Merk
war diesmal von Magda begleitet, welche ihr helfen mußte,
das große Bündel zu tragen; und Flora Schwarz hatte
ihren Knaben an der Hand, einen blassen, schlank gebauten,
aber kränklich aussehenden Jungen, der im gleichen Alter
mit Magda stand. Man zählte an diesem Tage zehn Grad
Kälte; das war gerade genug, um dünngekleideten Men—
schen den Winter schon recht fühlbar zu machen. Wenn bei
Merks die Verhältnisse auch immer bedenklicher wurden,
man hatte doch noch soviel, um sich warm kleiden zu können.
Ida machte sich in ihrem dicken Winterpaletot recht statt⸗
lich, und auch Magda steckte in einem dichten Schaltuch,
das ihren blonden Kopf wie eine Kapuze umschloß. Floras
Knabe dagegen zitterte am ganzen Körper vor Frost. Er
trug eine kurze Jacke, aus der er schon seit einem halben
Jahre herausgewachsen war. Die Armel reichten kaum
bis zum Handgelenk und ließen, trotzdem er die Hände in
den Hosentaschen hielt, stets Teile der vom Frost geröteten
Haut sehen. Die Mäntelnäherin trug immer noch das Tuch,
dessen ärmlichen Eindruck Ida bereits bei der ersten Begeg—
nung empfunden hatte.
Frau Schwarz schien beim Anblick Idas ein paar Augen—
blicke verlegen zu sein. Das Erste war, daß sie auf den
Taler zu sprechen kam, den sie zu ihrem Leidwesen immer
noch nicht hätte zurückerstatten können. Ida schnitt ihr
sofort das Wort ab und bat sie, nicht weiter davon zu
sprechen. Daran denke sie gar nicht mehr, das sei ja eine