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auf bloßem Stroh zu liegen braucht. Diese Zinsen, diese
hohen Zinsen — da muß man eines Tages noch dos letzte
Hemd ausziehen, um es zu den Halsabschneidern zu tragen.“
Aber was wolle man machen? Man habe ja niemand in
der Not, der einem auch nur einen Groschen leihe! Wie
lange dauere es, dann komme wieder der Exekutor und hole
sich seinen Teil! Der Rückkaufshändler und der Exekutor,
das seien zwei Menschen, vor denen sich alle bedanken
könnten!
Derartige laut geäußerte Anschauungen, kleine Zänke—
reien und Zwistigkeiten, die sich drinnen noch in Güte
legten, um dann draußen in Schimpfereien auszuarten,
wiederholten sich nach jeder Abfertigung.
Am letzten Tage des Monats entwickelte sich am Laden⸗
tische Laibs wieder ein anderes Bild. Da dachte man
nicht ans Einlösen, da machte die Sorge um die Miete die
Köpfe warm. Gerade in diesem Winter, wo die Arbeits-
losigkeit in der Vorstadt eine schreckliche Ausdehnung an—
genommen hatte, wo keine Aussicht vorhanden war, vor
Weihnachten noch irgend welche Beschäftigung zu erhalten,
mußte man alles aufbieten, um wenigstens unter Dach und
Fach zu bleiben. In seinen vier Pfählen ruhig und unbe⸗
helligt weilen zu können, das war doch immer das Erste,
woran man zu denken hatte. Eine warme Stube machte
Not und Elend weniger fühlbar. Lieber entzog man sich
den warmen Bissen und entbehrte, soviel man vermochte.
Dann konnte man sehen, was alles zum Versetzen herbei—
geschleppt wurde: das letzte Kleid, der letzte Bettbezug, das
letzte Stück Wäsche, das man entbehren konnte; kupferne
und zinnerne Kessel, Plätteisen und Wanduhren, Tische und
Stühle, Kommoden und Nähmaschinen. Dann hatte Herr
Moritz Isidor Laib Arbeit, alles genau zu taxieren, damit
er dabei nicht „hineinfiele“. Frau Serene steckte den Kopf
etwas mehr wie sonst hervor, um ihrem Moritz genau auf
die Finger zu sehen, und Felix Rosenstiel schleppte die
Sachen fort und versah sie mit Nummern. Jeder wollte
so viel als möglich haben, versprach mehr denn je, die