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wieder Platz am Schreibtisch und schwitzte und keuchte wie
ein Holzhauer bei seiner Arbeit, — ganz von dem Be—
streben beseelt, Frau Selmas Wunsch zu erfüllen.
Eines Morgens saß er bereits sehr zeitig am Arbeits-
tisch, um einen Artikel zu beendigen, den man bestimmt
am Abend in der Druckerei erwartete. Er trug die Über⸗
schrift: „Die Ehe in ihrer sittlichen Bedeutung als Grund⸗
lage der Gesellschaft und des Staates“. Er begann mit einer
vernichtenden Kritik der sozialistischen Theorie der freien
Liebe und erging sich weiter in der Betrachtung, daß die
„vom Geiste hoher sittlicher Anschauung durchdrungene“
moderne bürgerliche Ehe, „die des Hauses keusches Heilig—
tum bewahrt“, der Eckpfeiler des Staates sei.
Es klingelte, und der Gerichtsvollzieher erschien. Selma
befand sich in grenzenloser Aufregung. Sie warf Joachim
einen Blick zu, in dem der ganze vernichtende Vorwurf
einer nervösen Frau lag, die sich plötzlich ratlos einem un⸗
erwarteten Ereignis gegenüber sieht. Joachim Joachims⸗
thal erwachte aus seinem Brüten über die heiligsten Dinge
der Menschheit. O, das Entsetzliche war gekommen. Daß
er auch ganz den zuletzt eingeklagten Wechsel hatte ver—
gessen können! Frau Selma keuchte vor Wut: „So weit
also hast du es kommen lassen durch deine ewige Faulheit!
O, wie tief muß man mich beklagen. Alle Welt weiß, wie
ich gearbeitet habe, während du dem lieben Gott den Tag
abgestohlen hast.“ Sie lag bereits in einem Fauteuil und
weinte hinter dem zarten Spitzentuch. F
Der große Journalist ging schweigend auf dem Teppich
auf und ab, fuhr mit der Hand über das glattgeschorene
Haupt und öffnete dann zur Abwechselung leise die Tar
zum Korridor, um sich von der Abwesenheit des Mädchens
zu überzeugen.
Selmas Wut bekam durch dieses Schweigen neue Nah⸗
rung. „Einen Elenden müßte ich dich nennen —“
„Liebe Selma —“, grunzte er endlich.
„Geh sofort zu Rentel hinunter und sieh zu, ob er dir