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Sie schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es das wäre,
aber es ist schlimmer. Da noch eins, — lies!“ Und sie
setzte sich wieder in den Winkel am Ofen und nahm die
Schürze vor das Gesicht.
Merk las schweigend. Und als er zu Ende gelesen hatte,
blickte er ebenso wortlos vor sich hin. Es schien fast, als
hätte die Zeit im Gefängnis ihn so wortkarg gemacht,
daß er da nicht mehr sprechen konnte, wo sonst verdam⸗
mende Worte über seine Lippen gekommen wären. Er
stand wieder auf und schritt dem Kinde seiner Tochter zu.
„Wir werden es wie unser eigenes betrachten,“ sagte er
kurz und tonlos. Dann setzte er sich neben seine Frau.
„Ida, kannst du mich noch achten?“ Er hielt den Kopf ge⸗
neigt, als wagte er nicht aufzublicken.
Sie trocknete ihre Augen und fuhr mit der Hand durch
sein lockiges Haar, wie sie es früher so gern getan hatte.
In dem Kuß, den sie ihm gab, lag die ganze Antwort. „Du
wirst Hunger haben, etwas Warmes trinken wollen —.“
Er wehrte ihr nicht. Sie schritt nach der Küche und
machte Feuer, um Kaffee zu kochen. Als sie wieder ins
Zimmer trat, saß Merk zusammengesunken auf dem Stuhl
und schlief. Das Wiedersehen hatte ihn übermannt. Wie
Ida ihn aufmerksam betrachtete, entdeckte sie die ersten
grauen Fäden in seinem Haar. Als sie ihn leise weckte,
sprang er hastig auf. Im Halbschlaf glaubte er sich noch
im Gefängnis.
Der nächste Tag bot dem Hause die Überraschung von
des Eisendrehers Wiederkehr. Wenn man jetzt über den Hof
ging, warf man neugierige Blicke zum zweiten Stockwerk
hinauf, um eines bärtigen Gesichtes ansichtig zu werden.
Was der wohl zu der netten Geschichte mit seiner Tochter
sagen würde? Das lastete allen schwer auf dem bedrängten
Gemüt. Man sei nicht neugierig, meinte Frau Muͤller
unten zu Frau Jakob beim holzhauen, aber was für eine
Wirtschaft nun beginnen werde, darauf dürfe man einiger⸗
maßen gespannt sein. Im übrigen müsse man sich vor Merk