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Elftes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

277 — 
Sie schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es das wäre, 
aber es ist schlimmer. Da noch eins, — lies!“ Und sie 
setzte sich wieder in den Winkel am Ofen und nahm die 
Schürze vor das Gesicht. 
Merk las schweigend. Und als er zu Ende gelesen hatte, 
blickte er ebenso wortlos vor sich hin. Es schien fast, als 
hätte die Zeit im Gefängnis ihn so wortkarg gemacht, 
daß er da nicht mehr sprechen konnte, wo sonst verdam⸗ 
mende Worte über seine Lippen gekommen wären. Er 
stand wieder auf und schritt dem Kinde seiner Tochter zu. 
„Wir werden es wie unser eigenes betrachten,“ sagte er 
kurz und tonlos. Dann setzte er sich neben seine Frau. 
„Ida, kannst du mich noch achten?“ Er hielt den Kopf ge⸗ 
neigt, als wagte er nicht aufzublicken. 
Sie trocknete ihre Augen und fuhr mit der Hand durch 
sein lockiges Haar, wie sie es früher so gern getan hatte. 
In dem Kuß, den sie ihm gab, lag die ganze Antwort. „Du 
wirst Hunger haben, etwas Warmes trinken wollen —.“ 
Er wehrte ihr nicht. Sie schritt nach der Küche und 
machte Feuer, um Kaffee zu kochen. Als sie wieder ins 
Zimmer trat, saß Merk zusammengesunken auf dem Stuhl 
und schlief. Das Wiedersehen hatte ihn übermannt. Wie 
Ida ihn aufmerksam betrachtete, entdeckte sie die ersten 
grauen Fäden in seinem Haar. Als sie ihn leise weckte, 
sprang er hastig auf. Im Halbschlaf glaubte er sich noch 
im Gefängnis. 
Der nächste Tag bot dem Hause die Überraschung von 
des Eisendrehers Wiederkehr. Wenn man jetzt über den Hof 
ging, warf man neugierige Blicke zum zweiten Stockwerk 
hinauf, um eines bärtigen Gesichtes ansichtig zu werden. 
Was der wohl zu der netten Geschichte mit seiner Tochter 
sagen würde? Das lastete allen schwer auf dem bedrängten 
Gemüt. Man sei nicht neugierig, meinte Frau Muͤller 
unten zu Frau Jakob beim holzhauen, aber was für eine 
Wirtschaft nun beginnen werde, darauf dürfe man einiger⸗ 
maßen gespannt sein. Im übrigen müsse man sich vor Merk
	        
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