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gierigen Augen, gedenkt mit harten Worten der Raben⸗
mutter, dreht das Körbchen um und um, als müßte sie noch
irgend etwas finden, und hält dann plötzlich ein kleines
Päckchen in den Händen, in dem sich etwas Geld und ein
Brief befindet.
„Still, Kinder —.“ Sie wirft nur einen Blick auf die
Handschrift, und sie liest mit angehaltenem Atem. Ihr
Herz klopft dumpf und laut, denn der Brief kommt von
ihrer gefallenen Tochter. Und je weiter sie liest, je weniger
kann sie sich bemeistern. Die Augen werden kleiner, der
Mund zuckt, und sie weint. Eine Mutter weint über das
Unglück ihres Kindes, und unter den Tränen des Kummers
taucht ein gewisses Gefühl der Freude auf, daß die junge
Mutter wohlauf und munter ist.
„Mutter, weshalb weinst du —? — Lies uns den
Brief vor. — O, dieser kleine Schreihals, wie hübsch er
aussieht !“
„Still, Kinder, geht schlafen. . .“ Sie trocknet sich
die Augen, faltet den Brief zusammen, um ihn in später
Stunde, wenn sie ollein bei einsamer Lampe sitzen wird,
wieder und immer wieder zu lesen. Dann beschäftigt sie
sich liebevoll mit dem neuen Gast. O, eine Mutter hat noch
immer etwas für das unschuldige Kind ihrer Tochter übrig!
„ . · · Geliebte Mutter — ich habe furchtbar gelitten
und zum lieben Gott gebetet, er möchte mich von der Erde
nehmen, aber er hat es nicht getan.. Nimm Dich meines
Töchterchens an, aus Barmherzigkeit tue es. Ich wollte
es bei fremden Leuten in Pflege geben, aber ich habe es
nicht übers Herz bringen können, es schlecht behandelt zu
sehen. Jede Woche werde ich Dir Pflegegeld schicken für
meine kleine süße Martha.... Ach, ich schäme mich, so
zu Euch zu kommen, ich kann es Dir nicht sagen. Einmal
war ich bereits bis auf den Hof, kehrte aber um, als ich Dich
iim Fenster erblickte.. ...Gute, liebe Mutter, ich bin
nicht schlecht, glaube mir .... Wie anders ist es bei fremden
Leuten, und wie schön war es bei Euch. Aber ich werde
fommen, ganz unerwartet, wenn niemand von Euch