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Elftes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

273 — 
gute Mutter, ich werde für Euch beten und den Kindern 
oft etwas schicken. Magda.“ 
Da saß nun eine schwergeprüfte Mutter tränenden 
Auges und starrte auf die eckigen Schriftzüge, aus denen 
eine Welt künftigen Jammers sprach. O, wenn man in die 
Seele so einer Mutter blicken könnte, die im Begriff ist, ihr 
letztes für ihre beklagenswerte Tochter hinzugeben und 
vergeblich nach dieser Tochter ruft; wenn man all den 
Müttern, die um der Opfer willen, die sie ihren Kindern 
gebracht, zu Märtyrerinnen wurden, ein Denkmal setzen 
wollte, — wo fänden sich wohl die Steine dazu und wo 
die Stätten, da sie Platz hätten? Aber eine Mutter hofft 
noch, wenn auch die Augen rot sind, und die letzte Träne 
versiegt ist. 
Und Ida hoffte auch — noch am selben Abend. Sie 
sang ihr Jüngstes in den Schlaf und zählte dabei die Mi— 
nuten und Stunden an der alten Uhr. Sie horchte auf 
jeden Laut, jeden Fußtritt, denn sie wartete auf ihre 
Tochter. Aber die Minuten vergingen, Stunde auf Stunde 
verrann, und Magda kam nicht. Am anderen Tage ging 
Frau Merk nach der Fabrik, in der ihre Tochter beschäftigt 
gewesen war. Sie erfuhr, daß Magda weggeblieben war. 
Sie ging nach der Polizei: — man tröstete sie mit der An⸗ 
meldung und verhehlte ihr nicht, daß an so einer Tochter 
wenig dran sei. Aber eine Mutter glaubt ihr Kind besser 
zu kennen; sie forscht weiter, hofft, wartet und ringt dabei 
stumm die Hände. Und wartet Tage, Wochen, Monate, 
entsetzlich lange Monate, wie Ida auf ihre Tochter Magda 
gewartei hatte; sie hofft und bangt so lange, bis sie eines 
Abends in später Stunde, mitten im Winter, bei entsetzlicher 
Kälte, draußen an der Küchentür ein leises Klopfen hört 
und das laute Schreien eines zarten Kindes. Sie öffnet 
die Tür, wie Ida sie öffnete, und findet auf der Schwelle, 
in einem Körbchen liegend, ein ausgesetztes, kaum vier 
Wochen altes Töchterchen, wie Ida es fand. Sie erbarmt 
sich des kleinen, hilflosen Geschöpfes, nimmt es in die warme 
Stube, betrachtet es, umringt von den Kindern, mit neu⸗ 
MaxrKreztzzer, Die Verkommenen. 18
	        
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