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Elftes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

271 — 
Sie wollte laut aufschreien, aber sie vermochte es nicht; 
nur siedendheiß drang es ihr nach den Augen. Sie waren 
vor dem Hause angelangt, in dem Rosa wohnte, und stiegen 
die Treppen hinauf. Als sie in Rosas Zimmer waren, 
konnte Magda sich nicht mehr beruhigen. Sie brach in 
lautes Weinen aus und rief dazwischen: „O, Rosa, Rosa, 
was soll ich tun!“ 
Jakobs Tochter beruhigte sie. Das Weinen helfe jetzt 
nicht mehr, jetzt müsse man die Geschichte hinnehmen, wie 
sie einmal sei. Sie hatte jetzt Magda so weit, wie sie wollte. 
Und diese sagte wieder: „Meine Mutter schlägt mich tot. 
Das ganze Haus wird darüber sprechen.“ Sie schluchzte 
unaufhörlich. 
„Dann ziehst du einfach von Hause fort, womöglich 
nächste Woche schon. Schreibst deiner Mutter ein paar 
Zeilen, und damit ist die Geschichte abgemacht. Nur nicht 
sich gleich den Kopf abreißen lassen. So geht es tau— 
senden, wie es dir geht.“ 
Magda war im Augenblick die willenlose Schülerin 
ihrer überreifen Lehrerin. Entsetzliche Furcht behielt die 
Oberhand bei ihr. 
„Du mietest dir eine billige Schlafstelle und arbeitest 
fleißig. Du lieber Himmel, wie viele Mädchen gibt es 
in Berlin, die für ein Kind zu sorgen haben. Das gibt 
man einfach in Pflege und erzählt niemand davon. Stirbt 
es, desto besser!“ 
Rosa forschte dann nach dem Vater. Als Magda in die 
größte Verlegenheit geriet, beschämt zu Boden blickte 
und keine Antwort wußte, meinte sie, sie könne sich schon 
ihr Teil denken; davon würden sie später sprechen. Magda 
möge sich heute noch eine Schlafstelle mieten. Zwei Taler 
wolle sie ihr leihen. Sie wurde plötzlich überaus zärtlich, 
legte ihre Arme um Magdas Hals und küßte sie. „Siehst 
du,“ sagte sie, „ich bin nicht so schlecht, als du glaubst. Aber 
ich habe dich gehaßt, wenn ich immer sah, daß du mehr sein 
wolltest als ich. Dann war ich wütend,und ich hätte dir 
die Augen auskratzen können. Das ist jetzt anders. Jetzt
	        
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