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Sie wollte laut aufschreien, aber sie vermochte es nicht;
nur siedendheiß drang es ihr nach den Augen. Sie waren
vor dem Hause angelangt, in dem Rosa wohnte, und stiegen
die Treppen hinauf. Als sie in Rosas Zimmer waren,
konnte Magda sich nicht mehr beruhigen. Sie brach in
lautes Weinen aus und rief dazwischen: „O, Rosa, Rosa,
was soll ich tun!“
Jakobs Tochter beruhigte sie. Das Weinen helfe jetzt
nicht mehr, jetzt müsse man die Geschichte hinnehmen, wie
sie einmal sei. Sie hatte jetzt Magda so weit, wie sie wollte.
Und diese sagte wieder: „Meine Mutter schlägt mich tot.
Das ganze Haus wird darüber sprechen.“ Sie schluchzte
unaufhörlich.
„Dann ziehst du einfach von Hause fort, womöglich
nächste Woche schon. Schreibst deiner Mutter ein paar
Zeilen, und damit ist die Geschichte abgemacht. Nur nicht
sich gleich den Kopf abreißen lassen. So geht es tau—
senden, wie es dir geht.“
Magda war im Augenblick die willenlose Schülerin
ihrer überreifen Lehrerin. Entsetzliche Furcht behielt die
Oberhand bei ihr.
„Du mietest dir eine billige Schlafstelle und arbeitest
fleißig. Du lieber Himmel, wie viele Mädchen gibt es
in Berlin, die für ein Kind zu sorgen haben. Das gibt
man einfach in Pflege und erzählt niemand davon. Stirbt
es, desto besser!“
Rosa forschte dann nach dem Vater. Als Magda in die
größte Verlegenheit geriet, beschämt zu Boden blickte
und keine Antwort wußte, meinte sie, sie könne sich schon
ihr Teil denken; davon würden sie später sprechen. Magda
möge sich heute noch eine Schlafstelle mieten. Zwei Taler
wolle sie ihr leihen. Sie wurde plötzlich überaus zärtlich,
legte ihre Arme um Magdas Hals und küßte sie. „Siehst
du,“ sagte sie, „ich bin nicht so schlecht, als du glaubst. Aber
ich habe dich gehaßt, wenn ich immer sah, daß du mehr sein
wolltest als ich. Dann war ich wütend,und ich hätte dir
die Augen auskratzen können. Das ist jetzt anders. Jetzt