Zweites Kapitel.
In der Familie Merk begann sich nach und nach die
Arbeitslosigkeit ihres Ernährers auf das Drückendste fühl⸗
bar zu machen. Ein paar Tage hatte der Eisendreher in
einer Gießerei als Aushilfe für einen erkrankten Kollegen
gearbeitet, dann war auch dieses kurze Glück vorüber. Das
Weld für den schwarzen Anzug war bald verzehrt, man
mußte also an andere Dinge gehen. Der Mietzins am
Ersten verschlang Idas bestes Kleid, ein seidenes, das noch
von ihrer Hochzeit stammte und welches sie nur bei beson⸗
deren Gelegenheiten zu tragen pflegte. Allmählich wurde
sie bei Moritz Isidor Laib ein häufiger Besuch. Während
sie zuerst mit einem gewissen Zagen die Schwelle des
Rückkaufshändlers betreten und dabei immer das Gefühl
gehabt hatte, als dürfte sie bei Uberweisung eines Versatz-
objektes die Augen nie ganz aufschlagen, wurde sie jetzt
dreister und hob den Kopf in die Höhe, nachdem die eisen⸗
beschlagene Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war. Schließ⸗
lich betrachtete sie das Versetzen wie ein Geschäft, vor dem
man sich, so lange man noch eine gewisse Gegenleistung
liefere, nicht zu schämen brauche. Während sie sich in der
ersten Zeit immer nach den Straßennummern richten
mußte, um zu dem Rückkaufshändler zu gelangen, änderte
sich das bald durch die Gewohnheit. Zuleßt kannte sie jedes
benachbarte Haus, waren ihr die Läden oder der goidene
Zuckerhut irgend eines Materialwarenhändlers besondere
Kennzeichen, die sie stets aufs Geratewohl zu dem großen
Max Kretzzer, Die Berkommenen. ð