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rabler Individuen zu suchen, bei deren Forderung er sich
mit den Ersparnissen an Doktor Fisch zu trösten wußte. O,
man konnte sich das auch leisten, wenn man einen jährlichen
Umsatz von einer Viertelmillion Mark aus den Büchern
entgegenlachen sah.
Es kam Herrn Rentel unter Umständen nicht darauf an,
für ein einziges derartiges Machwerk ein Honorar von
fünfzehn⸗ bis zwanzigtausend Mark zu zahlen, allerdings
an seinen ausgezeichnetsten Mitarbeiter Herrn Sönderland
in Dresden, von dem man sagte, daß er das Jahresein—
kommen eines Ministers habe. Des öfteren passierte,
daß besagter „Autor“, der ein Meister in Schilderungen
der schlüpfrigsten und schamlosesten Szenen war, von seinem
famosen Verleger Monate lang auf Reisen nach dem Aus—
lande geschickt wurde, um „Studien“ für den neuesten Sen—
sationsroman zu machen; wie zum Beispiel „Marietta“,
ein Werk, das in grausigen Zügen die Zeit der Dogen in
Venedig, dem Volke mundrecht gemacht hatte, Herrn, Dok⸗
tor“ Sönderland eine Reise nach Italien einbrachte, die
Herrn Werner Rentels Kasse schwerwiegend in Anspruch
nahm, aber am Ende doppelt und dreifach wieder füllte.
Denn das arbeitende Volk hielt seine Groschen stets bereit,
um des Abends in enger Klause den „Bildungsbedürfnissen“
unserer großen Zeit vortrefflich Rechnung zu tragen.
Und angesichts dieser, für das Volk der Dichter und
Denker beschämenden Tatsachen, sollte unser idealistisch ge⸗
sinnter Oskar Schwarz nicht von Grauen gepackt werden?
Ach, er war noch so jung und mußte so frühzeitig bereits
die Kehrfeite jener verlockenden Medaille, die man Poesie
nennt, kennen lernen, — er, der in seiner von Not und
Entbehrung strotzenden Jugend sich immer den kindlichen
Blauben an die uneigennützigen Handlungen der Menschen
bewahrt hatte.
Oskar saß wie gewöhnlich des Vormittags neben dem
Pulte seines Brotgebers, als gegen die Mittagsstunde auch
Herr Joachim Joachimsthal Herrn Werner Rentel seine
Aufwartung machte. Wirt und Vizewirt schienen ein sehr