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legenen Straßen der Stadt schreitet, ohne zu bemerken,
daß ein Fremder „wie sein eigener Schatten“ ihm folgt.
In einer düsteren Seitengasse ließ er ihn Halt machen und
an einem unansehnlichen Hause dreimal klopfen. Ein altes,
schmutziges Weib öffnete, und nach der Frage: „Sind Sie
da?“, und nach der Entgegnung: „Jawohl, Herr Graf,“
schritt sie ihm durch einen langen Gang voran, öffnete eine
Falltür und ließ ihn hinab ........
Als Herr Doktor Dagobert Fisch in einem über ganz
Deutschland verbreiteten Werke seiner dichterischen Haus—
apotheke kein neues Mittel mehr zu entnehmen wußte,
das den Helden als letzten seines Stammes zum beweinten
Opfer der Lesewelt hätte machen können, fand er einen
genialen Ausweg. Er ließ ihn im letzten Kapitel schuldbe⸗
laden in den Ahnensaal seiner Väter treten und angesichts
des Bildes seines Vaters einen Monolog halten. Im
Augenblick, wo er die Worte sprach: „Vater, vergieb deinem
Sohn, er ist ein Elender, der den Tod verdient hat,“ fiel das
Gemälde herunter und erschlug den einsichtsvollen Spröß—
ling, womit der Roman schloß.
Außer dem Verfasser des in einer Auflage von hundert⸗
tausend Exemplaren erschienenen Romans „Die Macht der
Liebe, oder die Gefährnisse einer Unschuld in der Resi—
denz“ erfreute sich noch eine Anzahl anderer Autoren der
regsten Inanspruchnahme Herrn Werner Rentels; unter
ihnen Leute, die im Gegensatz zu Herrn Dagobert Fisch
auf das äußerste von dem menschenfreundlichen Verleger
respektiert wurden und Jahr ein Jahr aus für ihre Schund⸗
ware Honorare bezogen, die wahrhaft fürstlich gegen die
Einnahmen der berühmtesten Romanciers und Novpellisten
des Tages zu nennen waren.
Herr Werner Rentel kündigte stets ein halbes Dutzend
Romane zu gleicher Zeit an. In Anbetracht nun, daß man
nicht immer einen literarischen Handlanger vom Schlage
eines Doktor Fisch, der in seiner halben Verkommenheit
vortrefflich auszubeuten war, zu finden vermochte, sah sich
unser Verleger genötigt, auch die Verbindung höchst hono⸗