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Neuntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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entzogen hatte. Frau Jakob lachte laut auf. Ob er denn 
nun gründlich ausgeschlafen habe, meinte sie zum Kessel— 
schmied. Er habe geschnarcht, als ob sechs Saͤgen zu gleicher 
Zeit gearbeitet häͤtten. „Das ist unsere Rose, Kaulmann, 
kennen Sie das Frauenzimmer noch? Sehen Sie nur, 
was sie für Backen bekommen hat, und das übrige, so —!“ 
Dann setzte sie ihre geschäftige Tätigkeit fort, schimpfte auf 
die Minna, die so lange ausbleibe, gab einem der Kinder 
einen Klaps und summte schließlich am Ofen eine Melodie. 
Kaulmann setzte sich auf einen der beiden Stühle Rosa 
gegenüber. Während der ersten drei Minuten sprach er 
kein Wort. Er stopfte seine kurze Holzpfeife voll frischen 
Tabak und beschäftigte sich längere Zeit damit, als es von⸗ 
nöten war. Er befand sich noch in seiner Werktagsbluse, 
denn er hatte bis Mittag gearbeitet. Wie er die Augen ge⸗ 
senkt hielt, hatte Rosa Muße, ihn genau zu beobachten. 
Es schien ihr, als wäre er ernster geworden, als prägte sich 
auf seinem Gesicht ein Zug aus, der ihn älter machte, als 
er war, und den sie sonst nie an ihm beobachtet hatte. Das 
war der Mann, der sie heiraten wollte! Wie schnurrig hätte 
sich das ausgenommen! Sie, die immer von einem glän— 
zenden Leben geträumt hatte, die Frau dieses ungelenkigen 
Gesellen, dessen Handflächen die Schwärze niemals ganz 
verloren! Dann hätte man das alte Lied der Arbeiter ge— 
sungen: Ein Stüblein, ein Bettlein, ein Tischlein, ein 
Stuhl.... Das wäre auch alles gewesen! Und dann eines 
Tages womöglich in solcher Umgebung wie hier..... 
Rosa wußte nicht, was wirkliches Glück war; sie hatte 
nie etwas von jener sich selbst genügenden Zufriedenheit 
erfahren, die den Menschen selbst in den beschränktesten 
Verhältnissen emporhebt über die Alltäglichkeit, ihn in der 
Bescheidenheit veredelt und durch neidloses Entsagen sitt— 
lich stärkt. Sie war der Typus jener mehr beklagenswerten 
als verdammungswürdigen Geschöpfe, die den Blumen 
gleichen, die man in schlechte Erde pflanzt: sie blühen kurze 
Zeit, — verwelken und verdorren, ohne zu wissen, wes— 
halb, warum ....
	        
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