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Frau Jakob betrachtete jetzt ihre Tochter beim Licht der
Lampe. Und nun nahm ein Staunen, ein Fragen, ein
Beschauen von unten bis oben seinen Anfang, an dem die
Kinder sich auf das lebhafteste beteiligten, und das während
einer Viertelstunde nicht aufhören wollte. Rosa gab sofort
Geld zu Kaffee, Brot und Butter. Minna möge auch etwas
zum Auflegen mitbringen. Da saß sie nun in glänzender
Toilette auf einem wackeligen Holzschemel, umgeben von
hungrigen Gestalten, die sie wie ein Wundertier begafften
und zur Abwechselung auch betasteten. Sie fand, daß sie
friere und daß sie ein unbehagliches Gefühl überkomme,
als hätte man ihr tausend Peitschenhiebe angeboten. Sie
schüttelte sich förmlich, so durchschauerte es sie bei dem Ge—
danken, daß sie jemals diese Gesellschaft hier durch ihre
Person wieder vermehren könne.
Frau Jakob geriet in Bewegung und wurde sehr freund⸗
lich zu ihrer Tochter. Sie sollte doch den Paletot ablegen
und die Handschuhe abziehen. Ob sie denn gleich wieder
fort wolle? Erst würde man einen derben Kaffee kochen.
Und sie schlurfte auf ihren ausgetretenen Filzschuhen vom
Tisch zum Ofen, vom Ofen wieder zum Tisch, drehte und
wendete Rosas Paletot, befühlte den Stoff ihres Kleides,
betrachtete Handschuhe und Schleier, stellte ein Dutzend
Fragen zu gleicher Zeit, ließ den harten Taler in ihrer
Tasche verschwinden, den Rosa ihr hingeschoben hatte,
kramte unter Kochtöpfen und Pfannen, brachte ein paar
henkellose Tassen und Gläser hervor, rumorte wie eineFrau,
der soeben ein ganz besonderes Glück zu teil geworden ist,
und zeigte die ganze Freude einer es nicht genau mit den
sittlichen Anschauungen nehmenden Mutter, die einen
Dummstolz angesichts des unerklärlichen Glückes ihrer
Tochter empfindet.
Die Kinder fielen inzwischen über den Kuchen her und
verzehrten ihn heißhungrig bis auf die Krümel. Rosa zuckte
plötzlich zusammen. Am eingebauten Fenster hatte sich
eine lange Gestalt erhoben, die auf sie zutrat und sie be⸗
grüßte. Es war Kaulmann, den die Nische ihren Blicken