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Neuntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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mit ihrem Gedächtnis verwoben, etwa wie eine alte ver⸗ 
witterte Mauer, die man tagtäglich vor Augen hat. 
Minna hatte das jüngste Kind auf dem Arm, in der 
rechten Hand die Hutsche und wirklich —: da lugte auch 
unter dem Tuch der gelbe Umschlag eines Heftes hervor. 
Wie früher Rosa, pflegte auch sie des Nachmittags zu 
Mutter Knabe hinüberzusteigen, um am warmen Ofen 
ihre undankbare Schwester zu ersetzen. Minna schrie 
vor Freude. 
„Herrjeh, Rose —!“ 
Sie hätte Hutsche und Kind fallen lassen mögen, um 
ihrer Uberraschung und Freude recht großen Ausdruck zu 
geben. Dann rief sie sofort die Treppe hinunter: „Mutter, 
Mutter! „Die Rose ist hier, und ein großes Paket hat sie 
mitgebracht!“ Dann eilte sie voran, die Stufen hinab. 
Rosa, wenig erbaut von diesem Empfang, folgte ihr. 
Unten im Keller sah es trostlos aus. Als Rosa einge— 
treten war, konnte sie im Dämmerlicht zuerst nichts er—⸗ 
kennen. Dann hörte sie aus der hintersten Ecke die bekannte 
Stimme ihrer Mutter: „Na, läßt sich das Frauenzimmer 
auch mal sehen.“ 
Das war eine nette Begrüßung in dieser unheimlichen 
Bude, in der ein steter Küchengeruch das Atmen erschwerte. 
In einer Ecke wurde dann ein Schemel gerückt. Das Räus⸗ 
pern eines Mannes erschallte. Dann schlurfte die Mutter 
nach dem Tisch. Das Klirren von Glocke und Zylinder er— 
tönte, und gleich darauf brannte die Lampe. Rosa war ein 
paar Sekunden geblendet, dann übersah sie die Bescherung. 
Die blauen Wände zeigten große feuchte Flecken, auf denen 
etwas wie giftiger Schimmel sich bemerkbar machte. Neben 
der Tür stand ein kleiner eiserner Ofen, in dem das Feuer 
spärlich brannte. Das ganze Gerümpel bestand aus dem 
ihr bekannten, großen, viereckigen Tisch, inmitten des 
Zimmers, einer Beitstelle, einer großen Kiste, zwei Stüh— 
len und einem Schemel. An der einen Wand der Stube 
lagen auf den Dielen zwei Strohsäcke neben einander, auf 
denen zwei der Kinder schliefen.
	        
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