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mit ihrem Gedächtnis verwoben, etwa wie eine alte ver⸗
witterte Mauer, die man tagtäglich vor Augen hat.
Minna hatte das jüngste Kind auf dem Arm, in der
rechten Hand die Hutsche und wirklich —: da lugte auch
unter dem Tuch der gelbe Umschlag eines Heftes hervor.
Wie früher Rosa, pflegte auch sie des Nachmittags zu
Mutter Knabe hinüberzusteigen, um am warmen Ofen
ihre undankbare Schwester zu ersetzen. Minna schrie
vor Freude.
„Herrjeh, Rose —!“
Sie hätte Hutsche und Kind fallen lassen mögen, um
ihrer Uberraschung und Freude recht großen Ausdruck zu
geben. Dann rief sie sofort die Treppe hinunter: „Mutter,
Mutter! „Die Rose ist hier, und ein großes Paket hat sie
mitgebracht!“ Dann eilte sie voran, die Stufen hinab.
Rosa, wenig erbaut von diesem Empfang, folgte ihr.
Unten im Keller sah es trostlos aus. Als Rosa einge—
treten war, konnte sie im Dämmerlicht zuerst nichts er—⸗
kennen. Dann hörte sie aus der hintersten Ecke die bekannte
Stimme ihrer Mutter: „Na, läßt sich das Frauenzimmer
auch mal sehen.“
Das war eine nette Begrüßung in dieser unheimlichen
Bude, in der ein steter Küchengeruch das Atmen erschwerte.
In einer Ecke wurde dann ein Schemel gerückt. Das Räus⸗
pern eines Mannes erschallte. Dann schlurfte die Mutter
nach dem Tisch. Das Klirren von Glocke und Zylinder er—
tönte, und gleich darauf brannte die Lampe. Rosa war ein
paar Sekunden geblendet, dann übersah sie die Bescherung.
Die blauen Wände zeigten große feuchte Flecken, auf denen
etwas wie giftiger Schimmel sich bemerkbar machte. Neben
der Tür stand ein kleiner eiserner Ofen, in dem das Feuer
spärlich brannte. Das ganze Gerümpel bestand aus dem
ihr bekannten, großen, viereckigen Tisch, inmitten des
Zimmers, einer Beitstelle, einer großen Kiste, zwei Stüh—
len und einem Schemel. An der einen Wand der Stube
lagen auf den Dielen zwei Strohsäcke neben einander, auf
denen zwei der Kinder schliefen.