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Neuntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

229 — 
nennt man in der feinen Gesellschaft zu Abend speisen; 
aber eigentlich darf bei einem richtigen Souper der Wein 
nie fehlen. Wir haben denn auch, ich meine meinen Schatz 
und mich, eine Flasche Champagner an dem Abend ge— 
trunken. Haben Sie schon mal Champagner getrunken? 
Ich sage Ihnen, der schmeckt! Man bekommt einen gehöri⸗ 
gen Spitz davon. — Man muß doch sein Leben genießen, so⸗ 
lange man jung ist, nicht wahr? Früher bitteren Kaffee, 
obendrein noch vom abgekochten Grund, und jetzt Cham— 
pagner. Wer hätte das vor einem Jahr noch gedacht, nicht 
wahr? Aber die Mutter Knabe sagte immer zu mir: Rose, 
aus dir wird was! Nun adieu, meine gute Frau Schwarz, 
und strengen Sie sich bei der Nadel nicht so an. Sie müssen 
sich besser pflegen, ein tüchtiges Stück Fleisch essen, damit 
Sie wieder Farbe bekommen. Machen Sie noch immer 
Ihren alten Gang zu der dicken Laib nach der Gartenstraße? 
Bitte, erzählen Sie ihr doch, was aus mir geworden ist. 
Entsinnen Sie sich noch des Neffen von Frau Serene, des 
eingebildeten Judenlümmels, der immer den Grafen her— 
—00— 
Sie, der ist wie vernarrt in mich. Heiraten will er mich, 
wenn er erst ein eigenes Geschäft hat. Aber ich mich mit so 
einem häßlichenFJungen abgebendꝰ Nicht wahr, FrauSchwarz, 
wenn Sie auch früher manchmal nicht gut von mir ge— 
sprochen haben, weil ich nicht die oberste Stufe hier einnahm, 
aber so etwas werden Sie mir doch nicht zutrauen? Man 
muß denn doch immer wissen, was man von sich selber 
zu halten hat. Nehmen Sie Ihrer kleinen Marie das Stück— 
chen Kuchen mit hinunter, das arme Kind wird sich daran 
delektieren. Adieu also, und arbeiten Sie nicht immer bis 
tief in die Nacht hinein.“ 
Als sie gehen wollte, kam Frau Müller die Treppe 
herunter, um Jakobs Tochter persönlich zu begrüßen. Die 
Mäntelnäherin stand noch auf den Stufen, die zum Hofe 
führten. 
Rosa fiel es plötzlich ein, daß sie noch auf ein ganz be⸗ 
sonderes Thema zu kommen habe. „Sagen Sie doch,
	        
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