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Neuntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

225 — 
erzählte, ich glaube Frau Knabe unten — nein, ich glaube 
Herr Zipfel — nein, nicht doch — wer war es doch gieich —? 
Man vergißt doch alles. Aber es gehtIhnen gut, nicht wahr? 
Rosa fühlte sich veranlaßt, ihrer alten Nachbarschaft so 
freundlich als möglich entgegenzukommen. Was schadete 
das auch? Hier draußen sah sie niemand von jenen Leuten, 
für die sie nie die Tochter des Eisendrehers Jakob sein 
wollte; und vor dieser Sippschaft hier brauchte sie sich nicht 
zu fürchten. Die hockten jahraus jahrein in ihrer Kaserne 
und verirrten sich selten nach ihrem Revier. Und begegnete 
man ihnen wirklich einmal in Gesellschaft, dann kannte man 
— 
Sie antwortete denn auch sogleich: „Ich danke, Frau 
Müller, es geht mir ausgezeichnet. Ich kann es mir wirklich 
nicht besser wünschen. Man hat also so viel von mir ge— 
sprochen? Das freut mich wirklich. Ich habe auch recht oft 
an unser liebes Haus gedacht. Sie sehen ja, wie ich mich 
gleich mit den Kindern beschäftige. Sie meinen, ich sei 
Kammerjungfer? Dann hat man Ihnen falsch berichtet. 
Ich habe eine viel bessere Stellung. Ich bin Direktrice im 
großen Frauenheimer'schen Konfektionsgeschäft — Sie 
kennen es doch, nicht wahr? (Es kam ihr im Augenblick 
auf eine Aufschneiderei mehr oder weniger nicht an.) — 
„Ich bekomme vierzig Taler den Monat.“ 
„Vierzig Taler den Monat? Was sie sagen!“ klang 
es langgedehnt zurück. 
Und Rosa fuhr fort: „Ja, vierzig Taler. Meine frühere 
Herrschaft hat mir die Stelle verschafft. Ich hatte auch 
die Figur dazu. Obendrein haben mir meine Chefs noch 
Zulage versprochen. Jetzt werde ich aber für meine Mutter 
und Geschwister sorgen, Sie sollen nur sehen.“ 
Sie hatte das alles ganz laut hinauf gerufen, denn 
was Frau Müller hörte, vernahm im Augenblick das halbe 
Haus, das wußte sie. Denen hatte sie nun einen gründlichen 
Bäten aufgebunden, der die ganze Woche hindurch die 
Worte „Direktrice“ und „vierzig Taler“ brummen konnte. 
Jetzt hatte sie sich erhoben, um den Flur zu betreten, als sie 
Max Kretzer, Die Verkommenen. 15
	        
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