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gangsformen, stolze Bewegungen und eine vorzügliche
Toilette aus einem Menschen zu machen imstande waren.
Sie hatte auch für den heutigen Besuch alles mögliche
aufgeboten, um ihre Kleidung für die nächste Woche
zum Gesprächsstoff der alten Nachbarschaft zu machen.
Sie wußte: des Montags fing man hier gewöhnlich mit dem
Auskramen der schmutzigen Wäsche an, um am Sonnabend
damit noch nicht aufzuhören. Die sollten sich die Köpfe
zerbrechen, bis sie bersteten, das hatten sie alle um sie
verdient. Dort die Ecke im Hausflur konnte was erzählen
da grinste ihr noch das Gesicht der alten Rosa entgegen,
die mit zerrissenen Stiefeln und leerem Magen auf der
Hutsche saß, auf dem Schoß das plärrende Kind, das
vor Hunger schrie; und dort über den Hof aus jener Ecke
her kam ihr betrunkener Vater getaumelt und hob die
Hand, daß sie zitternd das Gesicht nach der Türe kehrte. Und
da hörte sie ihn auch oben wütend auf den Tisch schlagen,
fluchen und ihr seinen Segen geben: „Kanaille......*
„Kanaille“, — das war das Wort, das man sie beten
gelehrt hatte, des Morgens und des Abends. Wie pflegte
doch immer ihr Felix zu sagen: en canaille? — Richtig!
Sie wußte nicht wie das Wort geschrieben wurde, aber sie
kannte seine Bedeutung. Die Welt en canaille behandeln,
die Männer obenan, so gab man das alte „Kanaille“ mit
Zinsen zurück, — dieses Tischgebet der Familie Jakob, das
ihr nie mehr aus dem Gedächtnis kommen wollte. Wer
Fräulein Rosa heute mit dem Auge eines Modemagaziniers
gemustert haben würde, der hätte in der Konfektioneuse
Jakob die ganze Gattung erblickt. Sie trug schwarzen Hut,
schwarzen Halbschleier, der genau bis zu den Lippen reichte,
schwarzen, die Büste straff umspannenden Paletot, schwar—
zes Satinkleid, schwarze Handschuhe und schwarzseidene
Spitzen, — alles dunkel wie ein zweideutiges Gewerbe,
das seine Erkennungsfarbe hat. Rosa schleppte sich mit
einem Paket; sie hatte denn doch daran gedacht, den Kin—
dern wenigstens eine kleine Freude zu bereiten. In der
rechten Hand hielt sie ihr Portemonnaie. Das sollte den