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gleitungen wiederholt, als eines Sonntags nachmittags
Rosa Jakob ihrer Mutter und den Geschwistern einen Be—
juch in der Gerichtsstraße abstattete.
Es war ein milder Wintertag, gleich nach Neujahr.
Der Schnee war verschwunden, und der trockene Erdboden
hatte die Kinder nach langer Zeit hincus cuf Hof und Straße
gelockt. Das ganze Haus wußte balt welche besondere
Ehre ihm zuteil geworden war. Und Ldie Frauen schlugen
die Hände über dem Kopfe zusammen, als sie zu den Fen⸗
stern hinausblickten, um sich davon zu überzeugen, was das
Jubeln und Schreien der Rangen da unton zu bedeuten
habe. Fräulein Rosa hatte sich unterwegs schon vorge—
nommen, inmitten der Kinder, die sich gewiß in der Nähe
des Brunnens wie gewöhnlich balgen würden, erst eine
Gastrolle zum Besten ihrer Toilette zu geben, ehe sie zu
dem finsteren Kellerraum ihrer Mutter hinabstiege. O, das
war ein Tag, auf den sie sich schon lange gefreut hatte, den
sie schon längst einmal durchlebt hätte, wenn ihr der Weg
hier heraus nicht immer wie eine Fahrt nach einem end⸗
legenen Kirchhof erschienen wäre. Es war auch die höchste
Zeit, daß sie der ganzen Klatschgesellschaft in diesem Hause
einmal gründlich zeigte, was aus ihr geworden war.
So war sie denn über den Hof gerauscht, als könnte
sie die Zeit nicht erwarten, wo irgend eine ehemalige Nach—
barin laut cusrufen würde: „Herrjeh, Rosa Jakob, find Sie
Frau Baronin geworden, wie in dem Zehnpfennig-Roman,
von dem Sic Anmer erzählten?“ Eigentlich hatte sie sich
diesen Einzug so gedacht: man müßte sie zuerst nicht er—
kennen, sie für eine vornehme Dame halten, die hier einen
mildtätigen Besuch machen wollte, und sie ungefähr so an—
reden: „Sie scheinen hier jemand zu suchen; zu wem
wünschen Sie, gnädiges Fräulein ?“
Und das hatte womöglich eine der Frauen sagen müssen,
die sie früher wie einen alten Dreier gekannt hatten. Das
wure der richtige „Effekt“ gewesen; da hätte sie auf der
Stelle den glänzenden Beweis bekommen, was feine Um⸗—
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