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Neuntes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

221 — 
hatte sie dann die schlüpfrige Unterhaltung, die zotigen 
Reden von Auguste, Bertha oder Helene. Ehe die anderen 
sich angekleidet hatten, eilte sie springend die Treppe hinab, 
um vor der Haustür rechts und links die Straße zu mustern, 
bis sie in ungeheuchelter Freude zwei alten Bekannten ent— 
gegensprang: Oskar Schwarz und Leonhard Sirach. Die 
beiden Freunde holten sie regelmäßig des Abends ab. 
Dieser halbstündige Weg galt ihnen gleichsam wie ein Spa— 
ziergang, von dem sie nicht mehr zu lassen vermochten. 
Hier sprachen sie von Merks Tochter als wie von einem Ge⸗— 
schöpf, an dem der eine nicht mehr Anrecht habe als der 
andere. Sie war der Magnet, der beide anzog: ihre Freun— 
din, die mit ihnen zu empfinden, mit ihnen zu leben schien. 
Sie fühlten sich glücklich, wenn sie sie sehen, mit ihr plaudern, 
in ihrer Nähe weilen durften. So schrititen sie denn mit 
einander durch die Straßen, Magda in ihrer Mitte, um ihnen 
zu erzählen, wie weit sie vorgeschritten sei, was sie den Tag 
über erlebt habe. Und sie plauderte vortrefflich, ihr Mund 
gebrauchte so zarte Worte, als hätte sie noch nie in einem 
Fabriksaale gesessen, in dem es selbstverständlich war, daß 
selbst die Luft, die man atmete, das zersetzende Gift früh— 
reifer Gemeinheit barg. Man mußte sich immer trösten: 
das war nur äußerlich. 
Magda schien einen gewissen Stolz darin zu sehen, des 
Abends in solcher Begleitung nach Hause wandern zu dür— 
fen. „Wenn sie in der Werkstatt nur wüßten, daß ein an— 
gehender Künstler zu meinen Verehrern gehört,“ hatte sie 
oft gedacht und doch nicht gewagt, das zu ihren Kolleginnen 
zu äußern, bei dem Gedanken, man könnte sie auslachen. 
Leonhard Sirach zeigte sich ihr gegenüber in seiner ganzen 
Höflichkeit, die sie so nett fand. Es gefiel ihr ganz besonders, 
daß er in ihr ein großes Fräulein erblickte, mit dem man wie 
mit einer wohlerzogenen Dame reden müsse. Aber zu 
Oskar zog sie doch die herzige Freundschaft hin. Er stand 
mit ihr auf du und du, kannte ihre Gewohnheiten und war 
mit ihrem Schicksal eng verflochten. 
Vier Wochen lang hatten sich die allabendlichen Be—
	        
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