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Und dort vor ihm saß doch ein Jude.
Leonhard Sirach wandte seinem Freunde halb den
Rücken. Er holte seine Geige hervor und bespannte sie mit
einer neuen Saite. Oskar konnte nur das Profil seines
Gesichtes sehen, das sich edel wie immer zeigte. Und
wenn er das Haar aus der Stirn strich, seine Augen dabei
aufschlug, so strahlte aus ihnen eine wahrhaft bezaubernde
Milde. Gefühle der mannigfachsten Art, die er sich im Augen⸗
blicke nicht erklären konnte, durchzogen Oskars Brust.
Es war ihm, als wäre plötzlich ein häßlicher Schatten vor
seinen Augen aufgetaucht, der wie ein Störenfried fort-
während die Hand zwischen ihm und Leonhard erhebe. Was
hattie ihm sein Freund getan, dem er zu danken hatte ? Os—
kar stellte das Buch auf seinen Platz; dann wollte er gehen.
Leonhard blickte groß auf. Er war sichtlich erstaunt.
„Du willst schon gehen und bist soeben erst gekommen?
Was ist dir ?
Oskar wußte nicht, was er antworten sollte. Irgend
eine Ausrede aber mußte er machen. Er wollte hinaus ins
Freie, er hätte seinem Freunde auf die Dauer nicht ins
Auge sehen können, wenigstens heute nicht. „Ich habe noch
einen Gang. Adieu Leonhard.“
Dieser hielt ihn nicht, aber er streckte ihm die Hand
entgegen. Und als hätte er in der letzten Minute etwas
gut zu machen, was er stundenlang verschuldet, ergriff
Oskar mit beiden Händen die Hand des Freundes, drückte
sie warm und verließ rasch das Zimmer. Leonhard blickte
ihm erstaunt nach.
wa in der frischenLuft empfandOskar, daß es wahr war.
Und doch war kaum ein Freundschaftsbund
harmomischer und reiner!“