Path:
Achtes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

217 — 
Und dort vor ihm saß doch ein Jude. 
Leonhard Sirach wandte seinem Freunde halb den 
Rücken. Er holte seine Geige hervor und bespannte sie mit 
einer neuen Saite. Oskar konnte nur das Profil seines 
Gesichtes sehen, das sich edel wie immer zeigte. Und 
wenn er das Haar aus der Stirn strich, seine Augen dabei 
aufschlug, so strahlte aus ihnen eine wahrhaft bezaubernde 
Milde. Gefühle der mannigfachsten Art, die er sich im Augen⸗ 
blicke nicht erklären konnte, durchzogen Oskars Brust. 
Es war ihm, als wäre plötzlich ein häßlicher Schatten vor 
seinen Augen aufgetaucht, der wie ein Störenfried fort- 
während die Hand zwischen ihm und Leonhard erhebe. Was 
hattie ihm sein Freund getan, dem er zu danken hatte ? Os— 
kar stellte das Buch auf seinen Platz; dann wollte er gehen. 
Leonhard blickte groß auf. Er war sichtlich erstaunt. 
„Du willst schon gehen und bist soeben erst gekommen? 
Was ist dir ? 
Oskar wußte nicht, was er antworten sollte. Irgend 
eine Ausrede aber mußte er machen. Er wollte hinaus ins 
Freie, er hätte seinem Freunde auf die Dauer nicht ins 
Auge sehen können, wenigstens heute nicht. „Ich habe noch 
einen Gang. Adieu Leonhard.“ 
Dieser hielt ihn nicht, aber er streckte ihm die Hand 
entgegen. Und als hätte er in der letzten Minute etwas 
gut zu machen, was er stundenlang verschuldet, ergriff 
Oskar mit beiden Händen die Hand des Freundes, drückte 
sie warm und verließ rasch das Zimmer. Leonhard blickte 
ihm erstaunt nach. 
wa in der frischenLuft empfandOskar, daß es wahr war. 
Und doch war kaum ein Freundschaftsbund 
harmomischer und reiner!“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.