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und Dichter zu zeigen. Der Geiger lebte von innen nach
außen, der Dichter von außen nach innen. Bernhard Sirach
erschien das ewige Wagenrollen wie etwas Fürchterliches,
das sein Ohr beleidigte. In jedem Rauschen, Stoßen und
Lärmen der Menge vernahm er nur einen einzigen großen
Mißklang. All das tolle, bunte, wahnsinnig-aufregende
Leben, das ihn umgab, aus dem tagtäglich tausend Gedanken
hervorgingen, von denen sich wenigstens einer bewährte,
erschien seinem fein abgestimmten Gehör und seinen leicht
erregbaren Nerven wie das Stimmen eines Riesenorchesters,
das während Stunden hindurch nicht nachläßt. Die äußer-
lichen Eindrücke waren nur insofern für ihn vorhanden, als
er sie wie etwas Unvermeidliches hinnehmen mußte, weil
das Leben es einmal so verlangte. Die Stille der Nacht.
ein langgezogener, reiner Ton seiner Geige, — das war
die Widerspiegelung seiner Empfindung, seines sanften
edlen Charakters.
Oskar Schwarz war eine andere Natur. Schwebte sein
Freund ewig über den Wolken, so befand er sich stets auf
der Erde. Wenn Leonhard es nie unterlassen konnte, im
Straßengewühl eine Melodie zu summen, die ihn die körper-
liche Welt um sich her vergessen ließ, so ging Oskar in diejer
körperlichen Welt auf. Das Lärmen und Brausen der
Menge mit ihrem Achzen, Stöhnen, ihrem tausendfältigen
Schrei, in dem die Freude mit dem Leide, der Seufzer
mit dem Fluche und die Barmherzigkeit mit der Erlösung
rang, war seine Musik. Seine Augen sahen rechts und links,
und wo er hinblickte, sah er Leidenschaft, das seelische
Material seiner Kunst. Er fühlte, daß diese wandelnden
und atmenden Marionetten dieselben vergangener Jahr—
hunderte waren; nur äußerlich hatten sie sich verändert.
Der Dichter brauchte ihnen nur sein Wort in den Mund
zu legen, und sie sprachen dasselbe Laster, dieselbe Tugend,
denselben Haß, dieselbe Liebe verflossener und ewiger Zeit.
Ob Toga oder Frack —: Mensch war Mensch geblieben.
In Oskar Schwarz begann das Talent zu gären und
zu brodeln; es türmte sich Idee auf Idee, unxeif, aber voll