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das, was sich während elf Jahren in seinem Inneren ange⸗
ammelt hatte, zu einer umfassenden Anklage vereinigte,
trat er auf die Arbeiterin zu, wies mit dem ausgestreckten
recht en Arm auf Frau Zierling, und begann Fräulein Dor⸗
chen mit dem Brusttone der UÜUberzeugung sein Herz auszu⸗
schütten. „... Blicken Sie dorthin, mein verehrtes Frau⸗
lein, sehen Sie sich, bitte, jene Frau genan an. Das ist Ma⸗
dame Friederike Zierling, geborene Sauer, die Witwe des
weiland sehr geschätzten Kanzlei⸗Sekretär-Assistenten Zier⸗
ling, von dem man sagte, er hätte dieses schöne Dasein noch
länger genießen können, wenn ihm in seiner Behaufung
etwas mehr Ruhe zuteil geworden wäre —“.
„Herr Manuel, das ist nicht wahr, — Herr Manuel,
Sie wissen es, das ist nicht wahr! Sie schmähen meinen
Soeligen, oh —!“ Frau Friederike begann Mitleid zu er—
wecken.
Der augenblickliche Held in dieser Liebeskomödie aber
fuhr ungeniert fort: „Sie sieht sehr respektabel aus, diese
Madame Zierling, nicht wahr, verehrtes Fräulein? Sehen
Sie nur, wie kokett ihr die Haube steht, wie die Löcklein
ihre zart geröteten Wangen umkosen, — o, mein verehrtes
Fräulein Dorchen, es mag eine Zeit »egeben haben, in
der Madame Zierling beinahe die Ve ring „schön“ für
sich in Anspruch hätte nehmen könß *.
Frau Friederike blickte halb vershörnt zu Boden.
Der Salon⸗Komiker fuhr fort: „Ja, es gab auch für
mich eine Zeit, in der die äußerliche Stattlichkeit einer Frau
ihre Wirkung auf mich ausübte, aber zu spät sah ich ein,
daß die Seele dieser Frau schwarz, rabenschwarz ist. O,
liebes Fräulein, Sie können mich bedauern... .“ Er
faßte wieder an die Krempe des Zylinderhutes mit beiden
Haänden, stützte den Boden desselben auf das theatralisch
vorgesetzte linke Bein und blickte ein paar Sekunden, stumm
nickend, in das Licht der Lampe, als wäre er sich der Wirkung
seiner letzten Worte völlig bewußt, befände sich in Gedanken
auf der Bühne und wüßte recht gut, wie interessant die
Melancholie den Mann in den Augen der Frauen macht.