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da heute gerade der fünfzehnte ist, Ihnen in Gegenwart
dieser höchst ehrenwerten Dame eine Kündigung der bei
Ihnen bis jetzt innegehabten Kammer zu teil werden lasse,
und daß ich es vorziehen werde, am morgigen Tage be—
reits das Dach einer Frau zu verlassen, die während elf
langer Jahre noch nicht Gelegenheit gefunden zu haben
scheint, von der gesellschaftlichen Bildung eines Künstlers
zu profitieren. Auch muß ich Sie darauf aufmerksam machen,
daß Sie dem allerseits verehrten Fräulein Dorchen
Dinge gesagt haben, die unstreitig eine Injurienklage im
Gefolge haben werden, bei welcher mein Zeugnis von Ge—
wicht sein dürfte. Haben Sie verstanden?“
Er hatte wie Napoleon der Erste die rechte Hand halb
zwischen zwei Knöpfen seines Paletots vergraben, die linke
mit dem Zylinder auf dem Rücken verschränkt und stand nun
vor seiner Wirtin wie ein Befehlshaber vor seinen Truppen.
Frau Friederikens Mundwerk war bereits wieder un—
verschlossen, aber sie hätte beim besten Willen die Worte
nicht mehr zusammenhängend hervorbringen könnnen. Sie
starrte mit geöffneten Lippen nur auf den sie scharf fixie—
renden Sängerkrug, der seit elf Jahren zum ersten Mal
es wagen »re, ihr, der Madame Friederike Zierling, ge⸗
borenen Sacr, der er eine unbezahlbare Schuld abzutragen
hatte, seit anmer zu kündigen. Nur ein paar Worte preßte
sie hervor, A beweisen, daß sie alles verstanden habe.
. Sie wollen ziehen ?... Mir eine In—
jurientl. “Sie bewegte leise die Lippen, als müßte
sie jedes vernommene Wort noch einmal für sich wieder—
holen, tippte schnell hintereinander nervös mit der rechten
geschlossenen Hand in die Fläche der linken, trat abwechselnd
einen Schritt vor und zurück und glich völlig einem Men—
schen, der ein Pulverfaß unter seinen Füßen weiß, aber
demselben nicht zu entrinnen vermag.
Herr Sängerkrug fuhr fort, kühner geworden durch das
Schweigen der liebenswürdigen Frau:„Ja, ich wiederhole
es nochmals, ich werde ziehen.“ Und gleichsam, als wäre
nun auch für ihn der große Augenblick gekommen, der alles