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kommen, um einzusehen, wie alles mit schnödem Undanß
belohnt wird, was man während elf Jahren an einem
Manne getan hat, der heute noch ohne Pflege und ohne An
hang durch die Welt pilgern müßte, wenn man nicht ein
Herz im Leibe gehabt und aus Liebe zur Kunst die größten
Opfer gebracht hätte ?“
Dorchen schrie leise auf, Sängerkrug aber empfand den
lebhaften Wunsch, sich mit seiner aufrichtigen Wirtin nach
dem Lande des Pfeffers versetzt zu sehen, um sich in völliget
Einsamkeit mit ihr unter vier Augen aussprechen zu können.
Dieser verliebte Drachen gab keinen Pardon, das wußte er
genau. Aber er mußte das schuldlose Dorchen vor Be—
keidigungen zu schützen suchen. Und so begann er würdevoll:
„Verehrte Frau Zierling, hören Sie mich, bitte, an“ — —
Sie aber unterbrach ihn sofort. „Da ist gar nichts mit
„verehrte Frau Zierling,“ — verstehen Sie, Herr Manuel?
Was ich gesehen habe, habe ich gesehen, und was ich weiß,
das weiß ich. Da laß ich mir kein X für ein U machen,
verstehen Sie, Herr Manuel?“ Sie schnappte nach Luft
und fuhr dann mit der Gewandtheit einer Hökerin fort:
„Sie sind ein ganz hinterlistiger Mensch! Hören Sie?
Ein ganz schändlicher, hinterlistiger Mensch! Vor elf
Jahren, wissen Sie es noch, den Tag, wo Sie bei mir an⸗
kamen — 7
„Aber beste Frau Zierling, so hören Sie doch !“
Sie hörte auch diesmal nicht. Sie solle fich das gefallen
lassen, sie, eine so gute, barmherzige Frau, der man eigent-
lich auf den Knien danken müsse? Aber das alles habe sie
der, Person“ da zu danken, von der man im ganzen Hause
glaube, sie sei ein neugeborenes Kind an Reinheit und Un—
schuld. Stille Wosser seien tief, dafür lockten sie aber auch
am meisten an. So komme plötzlich die wahre Freundschaft
an den Tag, von der man anderen immer Honig um den
Mund schmiere, um ihnen dadurch glauben zu machen,
es sei die Liebe zu den „kleinen Kindlein“, die eins das
andere aussuchen lasse. Freilich „diese Liebe zu den klei⸗
nen Kindlein“ kenne man schon! Sie wolle sich nicht den