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blassen Arbeiterin verbrachte, war ihm mit der Zeit zu
einem Bedürfnis geworden, ohne dessen Ersüllung der Tag
für ihn seinen Zweck nicht erreicht haben würde. Nach und
nach zog ihn etwas zu diesem Mädchen hin, für das er
keine Rechenschaft zu geben vermochte. Als er eines Nach⸗
mittags vor dem Spiegel mit der alten Sorgfalt gerade
seine Toilette beendet hatte, dachte er plötzlich daran, was
Dorchen eigentlich von seinen auffälligen Besuchen denken
müsse. Diese Frage hatte er noch niemals in Erwägung ge⸗
zogen, und so blickte er lange auf einen Punkt. Ja — was
hatte er denn besonders an dieser Kleinen gefunden, daß
er in Gedanken immer ihr liebevolles Gesicht, ihre schlanken,
weißen Hände und ihr herzliches Lachen mit sich herum
tragen mußte? Am Ende gar — — — Fast erschrocken
blickte er um sich, und zwar nach der Tür, die zu Frau
Friederikens Wohnzimmer füqhrte, als könnte die Gefürchtete
plötzlich auf der Schwelle erschienen sein, um ihn beim Aus⸗
spinnen eines Gedankens zu ertappen, der in seiner Frevei⸗
haftigkeit ihren Schützling unleugbar zu dem undankbarsten
aller Chambregarnisten gemacht haben würde. Herr
Sängerkrug hätte sich auch darüber nicht gewundert, denn
die Frage, die er an sich selbst zu stellen im Begriff gewesen
war, schien ihm im ersten Augeunblicke nur eines Lächelns
würdig. Er, mit seinen einundfient Ochren und dem be⸗
reits ergrauenden Kopfhaar ver obendrein in ein
dreiundzwanzigjähriges Mädchen? O, er hätte da vor dem
Spiegel eine Vorstellung in den verschiedensten Arten des
Lachens geben mögen, — vom homerischen Gelächter bis
zum Johlen der Menge, die sich über einen alten Narren
amüsiert. Aber es ist mit dem Schlagen des Herzens so
ein eigen Ding: je mehr die Verminf! es zu beschwichtigen
trachtet, je lauter und vernehm“G chlagt es den Takt zu
der alten Musik der Seele: Du liebst? Du — liebst!
Und je heißer dabei das Blut die Brust anschwellen mag,
je dumpfer grollt und murrt es: Du — liebst! Du liebst!
Am Ende kommt es vor, daß aus der Selbsttitulatur einee
Narren die Eitelkeit versteckt hervorlugt, und rein mensch—