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Achtes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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blassen Arbeiterin verbrachte, war ihm mit der Zeit zu 
einem Bedürfnis geworden, ohne dessen Ersüllung der Tag 
für ihn seinen Zweck nicht erreicht haben würde. Nach und 
nach zog ihn etwas zu diesem Mädchen hin, für das er 
keine Rechenschaft zu geben vermochte. Als er eines Nach⸗ 
mittags vor dem Spiegel mit der alten Sorgfalt gerade 
seine Toilette beendet hatte, dachte er plötzlich daran, was 
Dorchen eigentlich von seinen auffälligen Besuchen denken 
müsse. Diese Frage hatte er noch niemals in Erwägung ge⸗ 
zogen, und so blickte er lange auf einen Punkt. Ja — was 
hatte er denn besonders an dieser Kleinen gefunden, daß 
er in Gedanken immer ihr liebevolles Gesicht, ihre schlanken, 
weißen Hände und ihr herzliches Lachen mit sich herum 
tragen mußte? Am Ende gar — — — Fast erschrocken 
blickte er um sich, und zwar nach der Tür, die zu Frau 
Friederikens Wohnzimmer füqhrte, als könnte die Gefürchtete 
plötzlich auf der Schwelle erschienen sein, um ihn beim Aus⸗ 
spinnen eines Gedankens zu ertappen, der in seiner Frevei⸗ 
haftigkeit ihren Schützling unleugbar zu dem undankbarsten 
aller Chambregarnisten gemacht haben würde. Herr 
Sängerkrug hätte sich auch darüber nicht gewundert, denn 
die Frage, die er an sich selbst zu stellen im Begriff gewesen 
war, schien ihm im ersten Augeunblicke nur eines Lächelns 
würdig. Er, mit seinen einundfient Ochren und dem be⸗ 
reits ergrauenden Kopfhaar ver obendrein in ein 
dreiundzwanzigjähriges Mädchen? O, er hätte da vor dem 
Spiegel eine Vorstellung in den verschiedensten Arten des 
Lachens geben mögen, — vom homerischen Gelächter bis 
zum Johlen der Menge, die sich über einen alten Narren 
amüsiert. Aber es ist mit dem Schlagen des Herzens so 
ein eigen Ding: je mehr die Verminf! es zu beschwichtigen 
trachtet, je lauter und vernehm“G chlagt es den Takt zu 
der alten Musik der Seele: Du liebst? Du — liebst! 
Und je heißer dabei das Blut die Brust anschwellen mag, 
je dumpfer grollt und murrt es: Du — liebst! Du liebst! 
Am Ende kommt es vor, daß aus der Selbsttitulatur einee 
Narren die Eitelkeit versteckt hervorlugt, und rein mensch—
	        
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