199 —
kniete er nieder, nahm eine Hand voll Schnee und begann
hastig Magdas Hände, Schläfe und Stirn zu reiben; dann
wieder hauchte er mit der ganzen Aufbietung seiner Lungen⸗
kraft auf ihre Augen, auf ihre Hände und auf das Gesicht.
Dazwischen rief er immer aufs neue: „Wächter, Hilfe !“
Wenn die mißtrauischen Ehemänner der Mietskaserne
in der Gerichtsstraße den Verehrer ihrer schöneren Hälften
in diesem Augenblick bei seiner menschlichen Tätigkeit er⸗
blickt hätten, sie würden unter allen Umständen den Hut
vor ihm gezogen haben.
Jedenfalls hatte Sängerkrug in seinem Leben noch nicht
mit tieferem Gefühl die Beendigung seiner allabendlichen
Vorstellungen herbeigesehnt, als er jetzt den Augenblick be⸗
grüßte, in dem Magda Merk die Augen zu ihm aufschlug.
Dann kam auch der Wächter hinzu. Er zog eine Schnaps-
flasche hervor, und Magda mußte einen Schluck zu sich
nehmen. Allmählich verloren ihre Glieder die Steifheit,
konnte sie sich aufrecht erheben und ein paar Schritte gehen.
Emanuel Sängerkrug zog seinen Paletot aus und hüllte
sie wie ein Wickelkind ein. Dann schritten sie beide langsam
in der winterlichen Stimmung die Straße hinunter, der
Komiker sie liebevoll stützend, den Arm um ihren Nacken ge⸗
schlungen und Magda den Kopf an seine Schulter gelehnt.
So gingen sie stumm lange nebeneinander her, ohne das
Schweigen zu unterbrechen. Magda stöhnte nur leise,
und dann versuchte er sie fester zu halten, sie besser ein—
zuhüllen.
Einmal fragte er: „Wie kamen Sie um diese Zeit,
Kindchen, nach dieser Stelle? Fräulein Dorchen erzählte
mir doch, daß Sie bei einer Herrschaft wären, um tagtäglich
die Kinder zu warten.“
Sie wollte sagen, daß das alles nur eine gemeine,
nichtswürdige Lüge von ihr gewesen sei, aber sie schämte
sich. „Ich hatte mich verspätet,“ antwortete sie leise; „mir
wurde unwohl, ich setzte mich auf die Treppe und schlief ein.“
Wie Magda nach Hause kam, wußte sie kaum. In der
Wohnung ihrer Mutter war noch Licht. Als sie hinein⸗